06 - Weihnacht
glauben!“
„Wirklich?“ fragte ich. „Ich denke, daß ich so ziemlich vernünftig bin, glaube aber doch daran.“
„Ihr, Mr. Shatterhand?“
„Ja.“
„Das sagt Ihr doch nur im Scherze!“
„O nein; es ist mein heiligster Ernst. Ich kann den Menschen, dem der Glaube an Gott fehlt, nur tief bedauern!“
„An Gott? Hört, sprecht mir doch nicht von Eurem sogenannten Gott! Mag ich das schon aus jedem andern Munde nicht hören, so noch viel weniger aus dem Eurigen. Ein Mann wie Old Shatterhand, von dem man weiß, daß er sich selbst vor dem Teufel nicht fürchtet, sollte doch wahrhaftig vernünftiger reden!“
„Die höchste Vernunft ist Gott, und nur allein deshalb, weil ich Gott fürchte, habe ich den Teufel nicht zu fürchten!“
„Dann bitte, wollen wir nicht mehr davon sprechen. Wenn Ihr das erfahren und durchgemacht hättet, was ich alles hinter mir habe, würdet Ihr ganz anders sprechen. Ich kann und mag das fromme Wimmern nicht hören. Es paßt sich das für Knaben und alte Weiber, aber nicht für erwachsene, verständige Männer!“
„Danke für die Zurechtweisung, Mr. Hiller! In dieser Beziehung bin ich Kind geblieben und will es ewig bleiben!“
„Bleibt es in Gottes Namen, oder vielmehr, in wessen Namen Ihr wollt, nur nicht in Gottes Namen, denn es gibt keinen Gott! Wenn ich da nicht recht habe, so mag mir der erste beste Grizzlybär das Gehirn ausfressen! Ihr wißt doch, Sir, daß der Grizzly stets zuerst nach dem Gehirn zu kommen trachtet? Es ist ihm der Lieblingsbissen von jeder Beute, die er geschlagen hat.“
Diese lästerliche Vermessenheit klang so entsetzlich und empörte mich in der Weise, daß ich ganz rücksichtslos antwortete:
„Hört, Mr. Hiller, ich bin kein Bär, der sich um Euer Gehirn bekümmert; bekümmert Euch also auch nicht um das meinige und die Gedanken und Ansichten, welche es hegt! Ihr habt mich unvernünftig genannt, weil ich an Gott glaube. Es ist noch keine halbe Stunde her, seit wir uns zum erstenmal im Leben gesehen haben; da kann ich es nur, gelinde ausgedrückt, eine Voreiligkeit nennen, wenn Ihr schon in dieser Weise an mir herummeistern wollt. Mit Knaben und alten Weibern läßt sich Old Shatterhand nicht kommen. Ihr mögt erfahren und durchgemacht haben, was es sei, ich bin auch nicht auf Rosen gebettet gewesen. Ihr habt dabei verloren; ich habe gewonnen; ich lasse Euch Euern Verlust und muß also bitten, mir meinen Gewinn auch nicht anzutasten!“
„Well!“ lachte er. „Vorhin waret Ihr es, jetzt nun bin ich es, der für die Zurechtweisung dankt! Wir sind also quitt! Doch, schaut da links hinüber! Das ist ein Reiter!“
Ja, es war ein einzelner Reiter, der wahrscheinlich erst eine andere Richtung gehabt, uns aber gesehen hatte und nun in schlankem Galopp grad auf uns zukam. Da wir ihn nicht von der Seite, sondern von vorn sahen, war er in so weiter Entfernung nicht zu erkennen, aber die fliegende Pferde- und Menschenmähne sagte mir dennoch, wer da kam.
„Winnetou!“
Als die andern den Namen hörten, hielten sie an. Ich ritt einige Schritte weiter und blieb dann auch halten; er sah also meine Gestalt allein, erkannte mich, richtete sich im Sattel hoch auf, warf den Arm empor und rief meinen Namen. Er kam wie ein Sturm dahergeflogen. Als er uns erreichte, gab es einen einzigen Ruck, da stand sein Pferd, und er saß darauf, beide wie aus Erz gegossen.
„Scharlih!“ sagte er, mich mit frohen Augen betrachtend, denn ich war ja frei.
„Winnetou, mein Bruder!“ antwortete ich, ihm die Hand hinstreckend, welche er drückte.
Mein Blick suchte natürlich nach meinen beiden Gewehren. Er hatte den Bärentöter über der Schulter, den Henrystutzen und die Silberbüchse am Sattel hängen.
„Uff! Arnos Sannel!“ lachte er. „Da ist von dem Wettschießen in Weston gesprochen worden. Wer ist das andre Bleichgesicht?“
„Nana-po“, antwortete ich.
„Uff!“
Sein Auge flog prüfend über Hillers Gestalt, doch sagte er nichts; dann wendete er sich wieder an mich:
„Mein Bruder befindet sich nicht mehr bei den Upsarokas? Ich sehe hier eine Fährte, welcher er folgt. Carpio fehlt? Sind die gefangenen Bleichgesichter entflohen?“
„Ja, und Carpio fiel ihnen in die Hände; sie haben ihn mitgenommen.“
„So sind sie hinauf nach dem Findig-hole. Wie alt ist diese Spur?“
Er bog sich herab um sie zu betrachten, und fuhr dann fort:
„Wir brauchen noch Leute; ich werde welche holen. Avaht-Niah, der Häuptling der Schoschonen, ist
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