06 - Weihnacht
war. „Ob er es von dem Diebe gekauft hat?“
„Ich möchte behaupten, daß er der Dieb selbst ist.“
„So! Wenn er es ist, erkenne ich ihn sofort. Jetzt gehen mich die Schoschonen nichts mehr an; sie mögen stecken, wo sie wollen. Ich muß mein Gewehr wieder haben und werde nicht eher von dieser Fährte lassen, als bis ich mit dem Schurken abrechnen kann. Welch ein Glück ist es, daß ich Euch getroffen habe, Mr. Shatterhand! Wie aber steht es mit Euch, Mr. Hiller? Ihr müßt zu den Schoschonen, bei denen Ihr noch eine Menge Felle liegen habt, und könnt Euch also nicht um mich und mein geliebtes Schießeisen bekümmern.“
„Warum nicht? Es handelt sich wohl nur um einen oder höchstens zwei Tage Zeitverlust, wenn ich mit Euch reite. Zu Avaht-Niah komme ich dann immer noch. Habe ich so lange bei den Krähen festgesteckt, so kann es jetzt auf einige Tage mehr oder weniger auch nicht ankommen.“
„Danke Euch! Wenn man es mit solchen Schurken zu tun hat, ist es immer besser, man hat einige Fäuste zu viel als zu wenig. Aber sagt, Mr. Shatterhand, welcher Ort war es denn, wo Ihr diese Hauptschüsse aus meiner Büchse getan habt?“
Ich antwortete in gleichgültigem Tone, aber Hiller dabei in das Auge nehmend, ohne daß er es bemerkte:
„Ihr werdet die Stadt nicht kennen, Mr. Sannel. Es war in Weston, Missouri.“
„Was? Wo? Weston in Missouri?“ fragte Hiller schnell. „Dort seid Ihr gewesen, dort, Mr. Shatterhand?“
„Ja.“
„Wann ist das gewesen?“
„Es kann stark in den zweiten Monat gehen.“
„Das ist mir interessant. Ich wohne nämlich dort!“
„In Weston? Wirklich? Ah, da fällt mir ein: Es wurde dort von einem Pelzjäger Hiller gesprochen, der sich im Westen sehr verspätet haben soll.“
„Der bin ich. Ich habe mich nicht verspätet, sondern ich war gefangen, bei den Krähen.“
„Das weiß ich. Yakonpi-Topa sagte mir, daß Nana-po sein Gefangener sei. Aber daß dieser Nana-po und dieser Hiller eine und dieselbe Person sind, wer hätte das gedacht!“
„Das hättet Ihr in Weston bei meiner Frau erfahren können. Sie hat oft, wie oft gewünscht, Euch oder Winnetou einmal sehen zu können, und mein Sohn ebenso. Ich habe nämlich einen Sohn. Wie sie sich wohl befinden mögen? Sie werden in schwerer Sorge um mich sein!“
„Was das betrifft, so kann ich Euch Auskunft geben, denn ich habe beide gesehen.“
„Wirklich?“ fragte er schnell. „Wann, wo?“
„Bei dem Schießen, von welchem ich vorhin erzählte. Sie standen dabei und sahen zu. Ich hörte, daß das Mrs. und der junge Mr. Hiller seien. Sie sahen ganz wohl aus.“
„Das ist eine gute Nachricht, Sir. Aber es wundert mich sehr, daß sie nicht den Versuch gemacht haben, mit Euch zu sprechen, da sie beide doch stets den Wunsch hatten, Euch einmal zu sehen!“
„Ich verschwieg, wer ich bin. Ich wollte mich nicht als Panoramabild betrachten lassen.“
„Dann ist freilich alles erklärt.“
„Aber“, fiel da Rost ein, um doch auch etwas zu sagen, „als dann Winnetou kam, wurde es doch offenbar, daß Ihr Old Shatterhand wäret, Mylord.“
„Auch Winnetou war in Weston?“
„Ja“, fuhr Rost fort, ohne mich anzusehen und also meine Winke zu bemerken. „Beide, Winnetou und Mr. Shatterhand, entdeckten dann, daß der Prayer-man der Nuggetdieb gewesen war.“
„Nuggetdieb? Prayer-man? Ich habe, als ich zum letztenmal daheim war, einen Prayer-man gesehen. Er kam zu uns. Meine Frau kaufte ihm einige Sachen ab, und er schrieb sich ein Gedicht auf, ein deutsches Weihnachtsgedicht, welches meine Frau mit aus dem alten Lande herübergebracht hat.“
„Ja, ja“, nickte Rost sehr eifrig. „Es beginnt mit der Strophe:
‚Ich verkünde große Freude, Die euch widerfahren ist,
Denn geboren wurde heute
Euer Heiland Jesus Christ.‘
Wißt Ihr, wer dieses Lied gedichtet hat, Mr. Hiller?“
Der unvorsichtige frühere Oberkellner stand im Begriffe, Dinge zu verraten, welche jetzt noch Geheimnis bleiben mußten. Ich ließ mein Pferd einen Seitensprung machen, welcher den Schwätzer zwang, mich anzusehen, und warf ihm einen so drohenden Blick zu, daß er endlich einsah, daß er schweigen solle.
„Ja, ich weiß, wer es gedichtet hat“, antwortete Hiller harmlos; „ein unreifer Knabe, der noch voller Ammenmärchen steckte. Diese Redereien vom heiligen Christ, von Sünde und Vergebung, vom Heiland und sonstigen himmlischen Dingen sind doch nur geistige Jungenstreiche. Kein vernünftiger Mensch kann daran
Weitere Kostenlose Bücher