06 - Weihnacht
grad so wie gestern; die vier Männer arbeiteten ohne Unterlaß, obgleich sie vor Kälte fast erstarrten. Carpio war allein im Lager geblieben. Er hatte sich aber nicht gelangweilt; so sagte er, als wir am Abend wiederkamen. Am nächstfolgenden Vormittag war nicht länger als zwei Stunden gearbeitet worden, als Welley, welcher sich im Loche befand, meldete, daß es keinen Schlick mehr gebe und nun wahrscheinlich die Hauptschicht komme, die viel fester sei als die bisherige. Er mußte heraus, und Winnetou ließ sich am Lasso hinab. Als er wieder heraufkam, war sein Gesicht unbeweglich. Die Arbeiter wurden gebunden und in einiger Entfernung von dem Bache niedergelegt, daß sie nicht sehen konnten, was im Bette desselben vor sich ging. Dann entfernte sich Winnetou; er nahm Sannel mit, um sich von ihm helfen zu lassen.
Ich ahnte, daß er das Wasser jetzt wieder herüberleiten werde, und hatte mich auch nicht geirrt, denn nach kaum zehn Minuten kam es geflossen, allerdings zunächst noch nicht stark. Es lief in das Loch. Die Gefangenen sahen das und schrien laut auf. Nach und nach kam es stärker; es füllte das Loch und floß dann über den in das leere Bette geschütteten Schlick dahin. Wir standen dort, um zuzusehen. Winnetou flüsterte uns zu, still zu sein und das, was wir erblicken würden, ja nicht zu verraten. Das Wasser spülte den erdigen Schlick fort; das schwere Metall blieb liegen. Der Bach nahm uns die Arbeit des Goldwaschens ab; so hatte Winnetou es gewollt. Nach Verlauf von einer halben Stunde war alles Erdige verschwunden und der Boden des Baches drei Meter lang mit Gold bedeckt, welches uns verlockend entgegenglänzte. Wir brauchten bloß das Wasser wieder abzuleiten, um den reinen Ertrag des Finding-hole wegzunehmen! Winnetou wendete sich ab und sagte in verdrossenem Tone, so daß die Gefangenen es hörten:
„Uff! Es ist nichts in diesem Hole. Wir gehen heut noch fort!“
Er, der nie eine Unwahrheit sagte, hatte auch jetzt keine Lüge gesprochen; es war jetzt wirklich nichts im Hole; aber daneben lag das Gold im Wasser des Baches.
„Seid Ihr verrückt!“ rief Welley. „Wir haben gearbeitet wie die Tiere, und nun wir auf die richtige Schicht gekommen sind, sollen wir aufhören?“
Winnetou blieb bei ihm stehen, sah ihm nachdenklich in das Gesicht und fragte:
„Und wenn wir Gold gefunden hätten, würden wir euch davon geben? Nein! Der Winter ist da. Wir gehen fort, um dem Tode des Verhungerns und Erfrierens auszuweichen. Wir nehmen euch mit, um euch zu retten.“
„Nein; wir wollen nicht fort. Laßt uns hier. Gebt uns unsere Waffen, und sagt uns, wie Ihr es gemacht habt, um das Wasser ablaufen zu lassen.“
„Wollt ihr das wirklich? Ihr werdet verderben.“
„Nein, nein; wir bleiben da!“ schrien sie alle vier.
„Uff! Ihr habt den Tod verdient; aber wir wollen nicht eure Richter sein; der große, weise und gerechte Manitou mag euch bestrafen. Ihr sollt morgen früh frei sein und das Finding-hole besitzen. Euer Wille geschieht. Wenn es zu euerm Verderben ist, so seid ihr selbst schuld daran. Jetzt kommt ihr mit zum Lager! Und dieses Mal sollt ihr sehen, wo es liegt. Wir verbinden euch die Augen nicht.“
Wie gern sie mitgingen, zum letzten Male als Gefangene! Sie lachten innerlich über unsere Dummheit! Im Felsenkessel angekommen, wurden sie gefesselt und ihnen auch die Augen wieder verbunden. Der alte, zuverlässige Sannel blieb bei ihnen und Carpio zurück. Wir andern drei nahmen einige Decken mit und gingen wieder nach dem Finding-hole. Dort wurde das Wasser wieder abgelassen, und wir sammelten die Nuggets in die Decken. Es gab soviel, daß wir alle drei ziemlich schwer zu tragen hatten. Dann gingen wir, ohne das Wasser zurückgeleitet zu haben, nach dem Lager zurück. Die Decken wurden dort nicht geöffnet, denn Carpio sollte das Gold noch nicht sehen; er hätte es durch seine Freude den Gefangenen verraten. Dann ging Winnetou wieder fort; er nahm Sannel mit, um so weit wie möglich hinabzusteigen und nach Material zu einem indianischen Schlitten zu suchen.
Bemerken muß ich, daß es heut ziemlich stark und windlos schneite. Die beiden Fortgegangenen kamen erst spät abends wieder. Sie hatten das Gesuchte gefunden und einen Schlitten zusammengesetzt, welcher draußen vor dem Felsen stand. Wir legten uns schlafen und wachten abwechselnd bis früh. Da aßen wir erst und schafften dann alles, was uns gehörte, hinaus auf den sehr leicht aber doch kunstvoll gebauten Schlitten, dessen
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