06 - Weihnacht
Teile nur mit Riemen zusammengebunden waren. Als nur noch Carpio zu holen war, gingen wir wieder hinein, und Winnetou wendete sich an die Gefangenen:
„Winnetou, der Häuptling der Apatschen, hält Wort. Wir verlassen den Ort. Wir binden euch los, dort liegt Fleisch für zwei Tage. Eure Waffen nehmen wir eine kleine Strecke mit, daß ihr nicht auf uns schießen könnt. Ihr mögt sie euch nach einer Stunde holen. Geht ihr dann hinauf nach dem Finding-hole, so ist der Graben leer, und ihr werdet sehen, wie man es macht, um das Wasser her- oder hinzuleiten. Was weiter mit euch geschehen wird, darüber mag Manitou entscheiden. Howgh!“
Sannel nahm ihnen die Binden von den Augen, befreite sie von den Fesseln und sagte zu Sheppard:
„Diesmal kommt Ihr gut weg, Halunke! Solltet Ihr mir aber wieder einmal in die Hände laufen, so rechne ich mit Euch ab, Ihr armseliger Gewehrspitzbube. Den Schießprügel, den ich zuletzt hatte, sollt Ihr haben; die Rallingbüchse aber nehme ich mit. Viel Glück, Mesch'schurs, beim Finding-hole!“
Damit Carpio nicht naß werden möge, trugen wir ihn hinaus und setzten ihn vor die Goldbündel auf den Schlitten, wo wir ihn in Decken wickelten. Dann ging es zunächst langsam den Berg hinab. Nach ungefähr einer Viertelstunde deponierten wir die Waffen der Zurückgebliebenen auf ein freistehendes Felsstück und setzten dann unsern Weg fort, die Verbrecher dem Strafgerichte Gottes überlassend. Carpio vergoß wegen des Scheidens von seinem geliebten Oheim keine einzige Träne!
Man weiß, daß die stärksten Regen- und Schneefälle nicht im höchsten Gebirge zu suchen sind. Je weiter wir abwärts kamen, desto mehr Schnee gab es. Wir suchten die seichtesten Stellen aus und hatten doch oft Not, hindurchzukommen. Unterhalb der Baumgrenze fiel der Schnee so dicht, daß wir oft kaum zehn Schritte weit sehen konnten; aber es war nicht mehr so eisig kalt wie oben auf den unbedeckten Höhen. Es standen uns nicht etwa mehrere Wege zur Auswahl frei; es gab nur diesen einen, und da Welley, Hiller und Reiter ihn auch geritten waren, so hatten wir uns vorzusehen, nicht auf sie zu treffen, falls sie auf uns lauerten, um uns das Gold abzunehmen.
Übrigens war es gar nicht unmöglich, daß wir schon in kurzer Zeit von unsern bisherigen Gefangenen verfolgt wurden. Wir hatten uns nicht Zeit genommen, auch die kleineren Goldkörnchen zusammenzulesen. Wenn sie an den Bach kamen und da, wo der Schlick gelegen hatte, dieses Gold im Bette schimmern sahen, mußten sie unbedingt erkennen, welche Ernte wir gehalten hatten und daß im Hole nun nichts mehr zu finden sei. Da lag der Gedanke nahe, hinter uns herzukommen, zumal der Aufenthalt da oben von Tag zu Tag gefährlicher wurde. Wir hatten uns also doppelt in acht zu nehmen, und zwar besonders weil unser Schlitten eine so deutliche Spur hinterließ.
Es wurde mit dem Schnee immer schlimmer; wir steckten oft bis an die Brust darin und mußten für den Schlitten eine Bahn mit unseren Leibern brechen. Das hielt uns ganz entsetzlich auf und strengte uns so an, daß wir, die sonst Unermüdlichen, öfters ausruhen mußten. Das war eigentlich auch gar kein Wunder, denn wo es möglich war, setzte sich Rost mit auf den Schlitten, den ich und Sannel zogen, während Winnetou voranschreitend Bahn brach. Ihn, den Herrlichen, ziehen oder schieben zu lassen, wäre mir unmöglich gewesen!
Als wir am Nachmittag das Tal des New-Fork erreichten, schien der Schnee haushoch zu liegen und das Fortkommen unmöglich zu sein. Aber Winnetou tröstete uns mit der Bemerkung, daß es bis zum Pa-ware nun nicht mehr weit sei. Noch eine Stunde lang in nördlicher Richtung durch dick und dünn, dann wendete er sich rechts in ein schmales Seitental, welches, als wir ihm einen Kilometer weit gefolgt waren, plötzlich aufhörte. Es gab rechts und links steile Felsenhöhen und vor uns eine licht bewaldete, schräg ansteigende Lehne, welche bis in den Himmel zu ragen schien. Da hinauf ging es.
Gab es da zu schwitzen! Ich zog; Rost und Sannel schoben ächzend und stöhnend hinterher. Der kleine, leichte Carpio schien fünfzig Zentner zu wiegen, und während wir drei wie die Braupfannen dampften, fragte er in seiner Harmlosigkeit rührend und freundlich: „Herr Rost, ich höre, daß Ihnen das Steigen schwer fällt: wollen Sie nicht lieber mit aufsitzen?“
Wir brauchten drei lange Viertelstunden, ehe wir oben waren. Noch aber hatten wir den Kamm nicht ganz erreicht, so fielen droben zwei Schüsse.
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