06 - Weihnacht
der quergeteilten Tür geöffnet wurde. Das Gesicht einer alten, wie es schien, abgehärmten Frau war zu sehen.
„Gott zum Gruß, Mütterchen!“ sagte ich.
„Grüß Gott“, antwortete sie. „Was wollen Sie?“
„Sind Sie die Müllerin?“
„Nein; die Mühle geht schon längst nicht mehr, denn ihr ist zwar nicht das Wasser, aber das Geld ausgegangen. Ich bin nachher eingezogen, weil das Logis nichts kostet. Ich bin nämlich die Botenfrau zwischen Bleistadt und Graslitz.“
„Wir suchen einen alten Mann, eine Frau und einen Knaben, welche gestern in Bleistadt waren und nach Graslitz wollten.“
„Du lieber Gott, die, die suchen Sie? Da kommen Sie zu einer schlimmen Zeit! Mit dem Alten können Sie nicht reden, denn er liegt im Sterben. Was wollen Sie denn von der Frau?“
„Wir bringen ihr etwas, was sie verloren hat.“
„Da kommen Sie herein! Schön werden Sie es nicht bei mir finden, sondern traurig, sehr traurig.“
Sie öffnete nun auch die untere Hälfte der Tür, und wir traten in einen engen, vollständig leeren Flur, dessen Wände im Zerbröckeln waren. Durch eine höchst mangelhaft schließende Tür kamen wir in die Stube, für welche aber der Ausdruck Stall in ihrem jetzigen Zustande eine unverdiente Ehrung gewesen wäre; ich wenigstens hätte weder Pferd noch Kuh hier unterbringen mögen!
Es gab keinen Ofen, sondern einen aus Feldsteinen lose zusammengesetzten Herd, auf welchem ein Holzfeuer brannte, dessen flackernder Schein den sonst, obgleich es draußen noch ziemlich hell war, ganz dunklen Raum zur Not erleuchtete. Von Wärme war nur wenig zu bemerken. Neben dem Herde ein paar Töpfe und Teller an der bloßen Erde, denn eine Diele gab es nicht. Am Fenster stand ein alter Tisch mit zwei schemelartigen Stühlen, und der Tür gegenüber gab es eine Lagerstätte, welche unsere Augen sofort auf sich zog. Sie bestand aus einem trockenen Laubhaufen, über den ein gewiß schon jahrelang nicht mehr weißes Bettuch gebreitet war. Einige zusammengerollte Fetzen bildeten das Kopfkissen, und die Zudecke präsentierte sich uns als die Reste eines haarlosen Männerpelzes. Auf diesem Bette lag der Greis, zu dessen Füßen der Knabe hockte, während die Frau am oberen Ende auf der Erde kniete und den Kopf ihres Vaters durch ihren untergeschobenen Arm stützte. Sie war so in ihren Schmerz versunken, daß sie sich gar nicht nach uns umblickte. Der Knabe erkannte uns und nickte uns traurig zu. Der Greis lag bewegungslos lang ausgestreckt; ob er die Augen offen hatte, konnten wir bei dem ungewissen Scheine des Feuers nicht erkennen; er sah so aus, als ob er schon tot sei.
Der Ort, wo ein Mensch im Verscheiden liegt, ist eine heilige Stätte, und wenn er auch der allerärmlichste der ganzen Erde wäre. Wir wagten nicht, laut Atem zu holen, und schlichen uns auf den Wink der Botenfrau zu den beiden Schemeln, um uns geräuschlos niederzusetzen. Sie folgte uns und flüsterte uns zu:
„Nicht wahr, es ist sehr ärmlich bei mir? Mein Schwiegersohn ist ein schlimmer Mann, der mich, seit meine Tochter tot ist, nicht mehr bei sich leidet; da habe ich mich hierher gemacht. Ich bekomme von der Gemeinde monatlich vierzig Kreuzer Almosengeld, und was ich sonst gegen den Hunger brauche, verdiene ich mir durch Botengänge. Sparen oder anschaffen kann man da aber nichts!“
„Seit wann sind diese Fremden hier?“ fragte ich ebenso leise, wie sie gesprochen hatte.
„Seit Mittag. Sie haben die ganze Nacht im Schnee zugebracht, und das muß der Alte nun mit dem Leben bezahlen. Sie baten um ein Plätzchen zum Ausruhen für ihn; da konnte ich nicht nein sagen.“
„Haben sie gegessen?“
„Nein, denn sie haben nichts, und ich habe heut auch nichts mehr, als nur ein Brot, welches auch schon halb alle ist. Horch!“
Der Sterbende bewegte sich und sprach halblaut abgebrochene Worte vor sich hin:
„Mich friert – – – ich will sterben! – – – Legt mich ins Himmelbett, und – – – deckt mich mit der weichen Seidendecke zu! – – – Wenn ich dann tot bin, unterschreibt nichts, nichts – – – sonst bringt er euch noch an den Bettelstab!“
Der Knabe schluchzte zum Erbarmen; seine Mutter regte sich nicht; sie blieb stumm, stumm, wie der Schmerz in seiner größten Tiefe immer ist. Man hörte das Knistern der Flamme, weiter nichts. Nach einer längeren Weile begann der Alte wieder:
„Selig – – selig ist, wer bis ans Ende – – – an die – – – die ewige Liebe
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