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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hinter uns verschwunden.
    Es hatte nicht, wie Franzi gestern abend meinte, die ganze Nacht hindurch geschneit, und so gab es für uns, wenigstens zunächst, eine ziemlich gut gebahnte Straße. Den ungefähr eine Meile weiten Weg bis nach Gossengrün legten wir in zwei Stunden zurück. Auf unsere Erkundigung dort erfuhren wir, allerdings erst nach langem und sorgfältigem Umherfragen, daß die Gesuchten gestern um die Mittagszeit hier angekommen und dann von einem mitleidigen Viehhändler in seinem Wagen mit nach Bleistadt genommen worden waren. Unser Weg ging also nun nach diesem Orte, den wir noch am Vormittage erreichten, obwohl der Schnee hier schon viel höher als in der Falkenauer Gegend lag.
    Bleistadt ist nicht groß; darum fanden wir das Schenkhaus sehr bald, in welchem der Händler mit seinem Schlitten angehalten hatte; ja, wir fanden ihn sogar selber, denn er hatte hier übernachtet und war frühzeitig nach Heinrichsgrün gefahren und soeben von da zurückgekommen. Er sagte uns, daß die Frau ein wahrer Engel an Aufmerksamkeit und Hingebung gegen ihren alten Vater sei, der aber wohl nicht mehr lange leben werde, denn er hatte sich selbst im Schlitten kaum auf dem engen Sitze aufrecht gehalten. Von ihrer Einkehr bei Franzi hatte sie nichts gesagt.
    „Ich bin aus Graslitz“, fuhr er fort, „und hätte sie ganz gern bis dorthin mitgenommen, aber ich mußte hier bleiben, um nach Heinrichsgrün zu fahren und die nächste Nacht in Neukirchen zu bleiben. Als sie erfuhr, daß ich alle Leute in Graslitz kenne, fragte sie mich nach einem Instrumentenmacher, der mit ihrem Mann verwandt ist. Sie dachte, bei ihm bleiben zu können, weil sie ihn für wohlhabend hielt; leider konnte ich ihr da keine gute Auskunft geben, denn er war nur Gehilfe und wendete seinen ganzen Verdienst dem Branntwein zu. Wegen dieser seiner Trunksucht fand er nirgends mehr Arbeit und hat sich vor ungefähr einem Jahre auf und davon gemacht, wohin, das weiß ich nicht.“
    „Ist die Frau von hier weiter?“
    „Ja. Der Wirt wollte sie nicht umsonst behalten, und Geld hatte sie nicht; sie dachte, unterwegs eher und leichter gute, mitleidige Leute zu finden, und es ist auch wahr, daß einsam wohnende Menschen gastlicher sind als Bewohner von Orten, wo es Gasthäuser gibt.“
    „Da ihre Hoffnung auf den Verwandten nun zunichte ist, hat es eigentlich gar keinen Zweck mehr für sie, nach Graslitz zu gehen; sie ist aber wohl trotzdem hin?“
    „Ja.“
    „Auf dem gewöhnlichen Wege?“
    „Sie wollte sich immer an der Zwoda aufwärts halten; weiter weiß ich nichts. Es ist ein wahres Herzeleid, solche Leute zu sehen! Sie wollen sich nach Bremen durchbetteln; ob sie aber hinkommen, das weiß man nicht; der Alte auf keinen Fall; ich dachte jeden Augenblick, er werde mir im Schlitten sterben. Sie sprach davon, daß sie Schiffskarten hätte; aber wenn es so langsam weitergeht wie jetzt, werden die wohl abgelaufen sein, ehe sie benützt werden können.“
    Diese Bemerkung machte mich noch besorgter um die Frau, als ich bis jetzt gewesen war. Ich nahm, ohne dem Händler zu sagen, was es war, das Kuvert aus der Tasche und öffnete es; ich glaubte nicht, ein Unrecht damit zu begehen. Richtig! Die bezahlten Schiffslegitimationen waren von einem New Yorker Agenten des damals erst ein Jahr bestehenden Bremer Lloyd ausgestellt, und die Fahrt war für die ersten Tage des Februars festgesetzt. Die Frau hatte das nicht lesen können, weil der Text englisch war.
    Wir machten uns wieder auf den Weg, welcher immer am Flüßchen aufwärts führte und ziemlich beschwerlich war, weil der Schnee stellenweise knietief lag. Überall wo es menschliche Wohnungen gab oder wenn uns jemand begegnete, fragten wir und erfuhren so, daß die armen Leute mehreremale um Nachtlager gebeten hatten, aber immer abgewiesen worden waren. Die Bewohner dieser Gegend sind oder waren besonders damals selbst so arm, daß sie, zumal im Winter, kaum genug trockenes Brot für sich selber hatten.
    Gegen Abend sahen wir eine kleine, ärmliche, halb zerfallene Schneidemühle vor uns liegen, deren ziemlich defektes Räderwerk eingefroren war. Das sah schon von außen ganz wie Hunger aus. Die kaum noch in den Rahmen hängenden Fenster hatten Risse und Löcher, welche mit Papier zugeklebt waren. Ein alter, abgemagerter Hund fuhr, als wir uns näherten, unter einer tiefen Schneewehe, wo er sein Lager hatte, hervor und vollführte mit seiner heiseren Stimme einen Lärm, auf welchen die obere Hälfte

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