06 - Weihnacht
nicht ausgegeben, sondern aufgehoben. Unser Reisegeld muß langen.“
„Was hast du da?“ fragte der Busenfreund, als er den Lederbeutel sah, den ich auf meinem jungen Herzen trug und jetzt unter der Weste hervorzog.
„Das ist mein geheimer, Geldschrank, in welchem die zwanzig Taler stecken, die ich mir von meinem Honorar für unvorhergesehene Fälle aufbewahrt habe. Hier hinein kommen diese zehn Gulden.“
„Denkst du nicht, daß ein Einbrecher auf den Gedanken kommen kann, daß du diesen Beutel bei dir hast?“
„Hier unter meiner Weste bricht mir niemand ein; darauf kannst du dich verlassen! Du, steckt nicht da zwischen dem Kuchen auch ein beschriebenes Papier?“
„Es scheint so.“
Er zog es heraus und wir lasen:
„Warum es Rosinen- und kein Quarkkuchen ist, wird Ihnen mein Reim sagen.“
„Was dieser Franzi nur immer mit seinen Quarkkuchen hat!“ sagte ich.
„Ist auch mir ein Rätsel“, behauptete der Busenfreund in sehr gleichgültigem Tone, wobei aber eine holde Röte auf den Stellen erschien, wo die Schnurrbartspitzen später auf den Backenbart zu treffen hatten.
„Gestern“, fuhr ich fort, „erwähnte er ihn mehrmals, und zwar, wie ich mich erinnere, mit ganz besonderer Betonung. Sollte vielleicht der Umstand damit zusammenhängen, daß gestern abend der Kuchenschrägen verschwunden war?“
„Ich bin ganz ohne alle Ahnung!“
„Wirklich?“
„Ja. Doch, um von etwas anderem zu reden, was sagst du zu dieser halben Magenwurst? Mir kommt sie außerordentlich bekannt vor.“
„So? Ah – – ja – – es ist möglich, daß es die Hälfte von der ist, von welcher ich dir herunter geholfen habe. Wahrhaftig, der vortreffliche Franzi hat unsertwegen seine schönste Wurst zerschnitten! O Carpio, o Carpio, wie wären wir nun blamiert, wenn du deinen Vorsatz ausgeführt hättest!“
„Welches Unglück!“ stimmte er tief aufatmend bei. „Denke dir – – – die Federn!“
„Ja, die – – – Federn! Mensch, wir wären wahrscheinlich deinetwegen alle beide zur Tür hinausgeworfen worden! Solche Schande kann man erleben, wenn man einen Spitzbuben zum Busenfreund hat!“
„Schweig! Es ist ja alles noch gut abgelaufen. Es war nur eine Absicht; die kann dem ehrlichsten Menschen kommen; aber zur wirklichen Ausführung würde so etwas bei mir niemals kommen!“
„Na, na!“
„Niemals!“ beteuerte er. „Du wirst mir doch zutrauen, daß ich den Unterschied zwischen Mein und Dein zu respektieren weiß!“
„Schon gut! Jetzt wissen wir, was das Paket enthalten hat; nun wollen wir den Reim lesen!“
„Können wir nicht warten, lieber Sappho?“
Dieses ‚lieber Sappho‘ klang diesmal so zuckersüß, daß es mir auffiel. Darum erkundigte ich mich:
„Warum sollen wir noch warten? Hast du etwa einen besonderen Grund?“
„Einen besonderen nicht, aber unsere Spannung würde größer.“
„Ich bin kein Freund von übermäßiger Spannung. Sehen wir also nach!“
Ich zog den Umschlag hervor und öffnete ihn. Da legte er seine Hand auf die meinige und fragte:
„Sappho, du bist mein bester, mein allerbester Freund. Willst du mir einen großen, sehr großen Gefallen tun?“
„Welchen?“
„Lies den Reim heute nicht! Später, später, meinetwegen zu Ostern oder zu Pfingsten, nur nicht heut!“
„Höre, Carpio, mit dir ist etwas nicht richtig; du hast kein reines Gewissen. Ich werde lesen.“
„Da sage – – ich dir – – die Freundschaft auf!“
„Gut! Betrachten wir sie schon jetzt als vorüber, denn wenn du zu diesem verzweifelten Mittel greifst, muß ich erst recht wissen, was Franzi geschrieben hat.“
Ich zog den Zettel hervor und las. Oh, nun wurde mir freilich alles, alles klar. Armer Carpio! Ich hätte laut auflachen mögen, bezwang mich aber, und zeigte meine ernsteste Miene, schob ihm den Reim hin und sagte:
„Hier – – – lies!“
Er las und wurde leichenblaß dabei.
„Das – das – – – hätte er nicht – – – nicht dichten sollen!“
„Wer sagte denn soeben noch, daß so ein schlechter Gedanke bei ihm niemals zur Ausführung kommen könne? Wer behauptete, den Unterschied zwischen Mein und Dein stets zu respektieren? Wer hat sich verstellt, mich getäuscht, belogen und betrogen? Lies mir den Reim laut vor!“
„Das – – das kann ich nicht!“
„Lies! Zur Strafe! Dann verfahre ich vielleicht gelinder mit dir, du – – du – – du Quarkkuchendieb, du!“
„Versprichst du mir wirklich,
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