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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wegen, die so schwere Sorgen um den Vater hat!“
    „Gern! Welchen Beweis wollen Sie?“
    „Old Shatterhand hat von Winnetou einen Stich in den Hals bekommen – – –?“
    „Hier, sehen Sie – – – da ist die Narbe!“
    „Und der Schnitt, als Sie Blut brauchten, um Blutsbrüderschaft mit ihm zu trinken – – –?“
    „Hier haben Sie die Hand und den Vorderarm; da sehen Sie! Stimmt es?“
    Da faßte er seine Mutter, zog sie vom Stuhle auf, drückte sie an sich und rief frohlockend:
    „Er ist's; er ist's wirklich. Er ist Old Shatterhand! Nun brauchen wir keine Sorge zu haben; er wird uns den Vater bringen, und wenn er ihn aus der Mitte von tausend Rothäuten herausholen müßte!“
    „Sachte, sachte!“ warnte ich lachend. „Sie sprechen ja von mir wie von einem Dollarstück, welches Sie schon in der Tasche haben! Hinauf zu den Kikatsa zu reiten, ist keine Kleinigkeit! Das erfordert Zeit, und wir haben keine Zeit dazu.“
    „Nicht? Warum nicht?“
    „Weil wir nach dem Osten wollen!“
    „Nach dem Osten? Was wollen Sie dort? Etwas Gedichte machen oder Kalender schreiben? Bei einer solchen Arbeit kann ich mir Old Shatterhand gar nicht denken!“
    „Ich auch nicht, Verehrtester! Aber wenn ich die Feder in die Hand nehme, so bin ich nicht mehr Old Shatterhand, sondern – – – sondern ein gewisser Mr. Meier, der zum Beispiel heut die ganze Nacht hindurch schreiben wird, bis es morgen Mittag schlägt. Und was unsere Reise nach dem Osten betrifft, so ist sie so fest beschlossen, daß uns nur ein ganz ungewöhnlicher Grund veranlassen könnte, sie aufzuschieben oder gar ganz aufzuheben.“
    „So ein Grund ist doch nun da! Oder ist es vielleicht etwas Gewöhnliches, meinen Vater aus der Gefangenschaft und vom Tode am Marterpfahle zu erretten?“
    „Ja, wenigstens für uns, denen derartige Aufgaben schon längst nichts Neues mehr sind.“
    „Uns – – – wir – – –? Sie sprechen immer in der Mehrzahl. Wen meinen Sie damit noch?“
    „Erraten Sie das nicht?“
    „Etwa Winnetou?“
    „Ja.“
    „Wirklich? Winnetou ist auch da?“
    „Da noch nicht, aber er wird noch kommen.“
    „Wann?“
    „Bald.“
    „Hurra, Hurra! Winnetou kommt auch! Winnetou und Old Shatterhand, Old Shatterhand und Winnetou! Mutter, heut ist ein Tag, wie ich noch keinen erlebt habe! Mein Wunsch, mein heißer Wunsch ist stets und stets gewesen, den guten, lieben Gymnasiasten, den wir in Falkenau trafen, einmal wiederzusehen. Da steht er; er ist heut gekommen! Und dann weißt du, wie ich Tag und Nacht gearbeitet habe, um Euren Wunsch zu erfüllen und ein guter Jurist zu werden. Ich habe weder nach rechts noch nach links geschaut und mir keine andere Erholung gegönnt als nur die, daß ich die Blätter las, in denen von Winnetou, dem Häuptling der Apatschen, und seinem weißen Freunde und Blutsbruder geschrieben wurde. Oder ich ging hier zu Bekannten, bei denen man von diesen zwei Westmännern und ihren Gefährten erzählte. Da habe ich oft gedacht, was für Freude ich haben würde, wenn ich das Glück hätte, einen von ihnen oder gar alle beide einmal zu sehen, sie vielleicht, wenn auch von weitem nur, sprechen zu hören. Und nun ist er da in unserm Zimmer, dieser Old Shatterhand, der zugleich unser kleiner Student ist, und Winnetou, der Herrliche, den alle Welt bewundert, bei dessen Namen jedes Herz begeistert schlägt, wird auch kommen! Mutter, ich bin so glücklich heut, daß ich es dir gar nicht sagen kann, wie!“
    Der vorher so stille, junge Mann war geradezu außer sich, ja, noch mehr, er schien ganz außer Rand und Band geraten zu sein, denn er tanzte jubelnd um den Tisch herum. Wäre ich nur sein ‚kleiner Student‘ gewesen, so hätte er mich gewiß ebenso umarmt und geküßt wie seine Mutter; da in mir aber zu gleicher Zeit auch Old Shatterhand mit steckte, so wagte er sich mit diesen Liebkosungen nicht an mich heran. Es war vielleicht seit seiner frühen Kindheit heut das erste Mal, daß er eine solche Freude in dieser Weise äußerte.
    Jetzt wußten die beiden nun, warum ich vorher so schweigsam über mich gewesen war. Sie gaben zu, daß ich ganz recht getan hatte, mich hier in Weston nicht zu nennen, weil ich sonst keinen Augenblick für mich hätte allein sein können und gezwungen gewesen wäre, nur immer zu erzählen und Tausende von Fragen zu beantworten. Einen kleinen Vorgeschmack eines solchen Fragensturmes bekam ich übrigens auch schon hier, denn Mutter und Sohn schienen ihre

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