06 - Weihnacht
Menschen sagen, daß er heute mein Gast gewesen und überhaupt ein alter, lieber Bekannter von mir ist. Sehen wir uns morgen wieder?“
„Ich denke es, falls Sie nicht inzwischen Gründe finden, mich abzuweisen, wenn ich komme. Gute Nacht!“
Ich wurde bis zur Tür begleitet und ging dann nach dem Hotel, von welchem mir schon von weitem die Tanzmusik entgegenschallte. Die Fenster des Gastzimmers standen offen, und mit dem hellen Lichte der Lampen drang das Stimmengewirr der Gäste heraus, welche so zahlreich waren, daß kein Stuhl leer stand.
Einen Augenblick stehenbleibend, blickte ich hinein und sah Watter, den schwatzhaften Westmann und unverdient glücklichen Nuggetfinder, auch drinsitzen. Er hatte also die ihm von mir gewordene Zurechtweisung und Blamage schon überwunden und hielt es nicht für gegen seine Ehre, sich wieder in dem Raume sehen zu lassen, aus welchem er erst von mir hinausgetragen worden und dann auf einem so lächerlichen Wege geflohen war. Bei ihm saß – – der Prayer-man. Sie schienen in ein sehr angelegentliches Gespräch vertieft zu sein. Wenn sich Watter gegen den salbungsvollen Schrifthändler ebenso mitteilsam verhielt, wie er gegen mich gewesen war, so konnte ihm nur angeraten werden, seinen Goldkasten noch fester anzuschrauben als bisher!
Eben wollte ich mich nach der Tür wenden, um hineinzugehen, da fing ich einen Blick des Prayer-man auf, den er nach einem anderm Tische warf, einen Blick, welcher mir, der ich gewohnt war, scharf zu beobachten, sonderbar und auffällig vorkam. Es war ein Blick heimlichen Einverständnisses, ein Blick, welcher, wenn ich recht gesehen hatte, so ungefähr sagen sollte: Sorge dich nicht; ich habe meine Sache gut gemacht, und er geht mir sicher auf den Leim!
An dem betreffenden Tische saßen nicht weniger als sechs Personen, darunter einer, welcher seinen Stuhl etwas abgerückt hatte und nicht am Gespräch der übrigen teilnahm. Diese waren jedenfalls Bewohner von Weston, während ich ihn für einen Fremden hielt. Er hatte seine Augen auf Watter und den Prayer-man gerichtet, und ich sah eben jetzt als die Wirkung des ihm von dem letzteren zugeworfenen Blickes einen Zug der Befriedigung über sein braungebranntes Gesicht gleiten. Nach dieser Beobachtung gab es für mich keinen Zweifel darüber, daß er aus irgendeinem Grunde mit dem Traktätchenhändler im heimlichen Einvernehmen stand. War dieser Grund ein guter oder ein schlimmer? Ging die Sache mich etwas an? Sollte ich Watter warnen? Nein; eine Warnung wäre Unsinn gewesen, denn ich wußte ja nichts. Aber wenn ich nicht das Rencontre mit dem Westmanne gehabt hätte, wäre ich jetzt hineingegangen, um mich zu ihm zu setzen und dadurch den Prayer-man von ihm wegzutreiben. Nun aber war mir dies nicht möglich, denn infolge der Lehre, die ich ihm erteilt hatte, wäre mir von ihm jedenfalls ein Empfang geworden, welcher sehr wahrscheinlich zu einer neuen, Aufsehen erregenden Szene geführt hätte. Was ging mich dieser Mann überhaupt noch an? Er hatte mich, andere Beleidigungen gar nicht mitgerechnet, einen ‚reinen Garnichts‘ genannt, und so war es wohl ganz richtig von mir, daß ich nun für ihn auch gar nicht mehr vorhanden sein wollte. Er hielt sich ja für einen tüchtigen Mann und mochte also für sich selbst sorgen! Ich ging auf mein Zimmer und brannte die Lampe an, welche mir auf meinen Wunsch hinaufgestellt worden war. Dann setzte ich mich an den Tisch und machte mich an das Manuskript, mit welchem ich bis morgen fertig sein wollte.
Unter mir klang die Musik; noch stärker drang sie zum offenen Fenster herein; um mir die frische Nachtluft nicht abzuschließen, ließ ich es offen, machte aber den Laden zu. Dann zog ich, um nicht von jemandem, welcher die Zimmer verwechselte, was in Hotels häufig vorkommt, in meiner Arbeit gestört zu werden, draußen den Schlüssel ab und verriegelte von innen die Tür. Auch zog ich die Stiefel aus und nahm an ihrer Stelle die leichten, bequemeren und geräuschlosen Mokassins an die Füße. Von jetzt an ging meine Arbeit trotz der unter mir klingenden Musik flott und ohne Unterbrechung vonstatten.
Nach einiger Zeit hörte ich jemand in das Nebenzimmer kommen und die Tür von innen verschließen. Es stand also nicht leer, sondern es gab einen Logiergast, der es bewohnte, was mir aber gleichgültig sein konnte. Nur fiel mir auf, daß er nicht schlafen ging, sondern unruhig auf und ab spazierte.
Eben war unten eine Tanzpause eingetreten; die Musik
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