06 - Weihnacht
von Krähen; sie bilden einen Kreis um die Schlangen, welche zusammengebunden sind. Das heißt: Die Kikatsa haben die Mörder gefangengenommen.“
„Himmel! Meinen Mann auch?“
„Leider!“
„Was wird mit ihm geschehen? Sagen Sie es mir! Schnell, schnell, schnell!“
„Bleiben Sie ruhig! Es ist ihm nichts geschehen. Er lebt jetzt noch.“
„Jetzt noch? Aber später?! Sie wollen ihn töten, ja?“
„Bitte, Mrs. Hiller, regen Sie sich nicht auf; es wird wahrscheinlich alles gut! Hier sehen Sie einen Berg gezeichnet, um welchen Felle hängen; das bedeutet einen ganzen, großen Haufen von Fellen; die Westleute pflegen zu sagen: einen Berg von Fellen. Die Kikatsa haben Ihrem Manne also sein ganzes Pelzwerk, welches er bei sich führte, abgenommen.“
„Das Unglück wird ja immer größer! Was soll man in St. Louis dazu sagen, wo man erwartet, daß –“
„Klagen Sie jetzt nicht, sondern hören Sie mich! Zunächst ist ein Menschenleben mehr wert als der größte Haufe von Häuten; wir wollen uns also einstweilen nur um Mr. Hiller kümmern. Und sodann hat er natürlich nicht alle seine Einkäufe mit sich geschleppt, sondern sie von Zeit zu Zeit auf den Weg gegeben. Diese Sendungen werden schon noch in St. Louis ankommen. Ferner sehen Sie hier vier Schlangen an einen Pfahl gebunden; ihre Köpfe liegen unten, aber glücklicherweise kein Hut dabei. Das hießt: die vier Schoschonen sind wegen des Mordes von den Kikatsa zu Tode gemartert worden; Ihr Mann war aber nicht mit dabei. Von ihm lesen wir jetzt weiter: Es folgen, wie Sie sehen, zwei Figurenreihen. Vor der einen befindet sich eine nach oben und vor der andern eine nach unten gerichtete Hand. Diese beiden Hände bedeuten: entweder, oder; das heißt: entweder geschieht das, was auf der einen Reihe, oder das, was auf der andern Reihe steht.“
„Und was steht da? Sie spannen mich auf die Folter!“
„Haben Sie doch nur Geduld! Hier sehen Sie ein Leder und unten auf der andern Reihe auch. Das ist der Brief, den Sie bekommen haben, wann wurde er Ihnen gebracht?“
„Vor noch nicht ganz vier Wochen.“
„Gut, so haben wir ja noch drei Monate Frist!“
„Wieso Frist? Wozu?“
„Um Ihren Mann zu retten. Schauen Sie her! Da liegt die Schlange gebunden, mit einem Hute auf dem Kopfe; das ist: Ihr Mann ist gefangen, lebt aber noch. Hierauf sind vier Monde nacheinander abgebildet; das bedeutet die Zeit von vier Monaten. Dann sehen Sie diese Schlange am Pfahle, und der Kopf mit dem Hute liegt unten. Der Sinn dieser Zeichnung ist: der Weiße lebt noch, wird aber genau vier Monate nach Abgabe des Briefes am Marterpfahl sterben; ich will aber – – –“
„Das ist doch schrecklich, schrecklich!“ unterbrach sie mich, indem sie die Hände zusammenschlug. „Gibt es denn nicht – – –“
„Hören Sie nur weiter!“ fiel ich ihr in die Rede. „Auf der andern Reihe folgt nach dem Briefe die Schlange mit dem Hute; sie hat jetzt Hände, in denen sie zwei Gewehre hält, mit denen andere Gewehre mittels einer Schnur verbunden sind; das bedeutet eine Vielzahl von Gewehren. Dahinter kommt das Zeichen des Häuptlings mit den vier Cowboys oder Hirten. Dieses Zeichen hat zwei Hände, welche es den Gewehren entgegenstreckt. Von der Schlange bis zum Häuptlinge hin ziehen sich oben wieder vier Monde, und darunter sehen Sie zwei Hände mit ausgespreizten Fingern, an die sich ein einzelner Finger legt; das ist die Bezeichnung, die Gebärde des Zählens; zwischen diesen Händen steht eine Sonne, das Zeichen des Jahres, von 365 Tagen, welche sich auf die Gewehre beziehen, also 365 Gewehre. Der Häuptling hat diese und nicht eine nach unsern Begriffen ‚runde Summe‘ gewählt, weil die Sonne für ihn die einfachste, kürzeste und darum bequemste Zahlenbezeichnung war. Hinter dieser Gruppe erblicken Sie die Schlange mit dem Hute auf einem von ihr abgewendeten Pferde, welches galoppiert, sich also schnell entfernt. Diese ganze Figurenreihe bedeutet also: Wenn die gefangene Schlange, also Ihr Mann, binnen vier Monaten 365 Gewehre an den Häuptling zahlt, erhält er die Freiheit und kann fortreiten. Ganz unten sehe ich zu meinem Erstaunen zwei wirkliche Buchstaben, nämlich ein kleines v und ein großes lateinisches H. Was das zu bedeuten hat, kann ich leider nicht sagen.“
„Aber ich, ich, ich!“ rief sie schnell und froh. „Zeigen Sie, zeigen Sie! Ja, hier steht es: v.H; das ist das adelige ‚von‘ mit dem Anfangsbuchstaben unsers Namens, also ein
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