06 - Weihnacht
schwieg, und so kam es, daß ich ein Klopfen an der Tür der Nachbarstube hören konnte.
„Wer ist's?“ fragte der Ruhelose.
„Du weißt's“, lautete die Antwort. „Mach schnell, damit ich nicht erwischt werde!“
Erwischt? Dieses Wort mußte mir auffallen. Wer befürchten muß, erwischt zu werden, der befindet sich nicht auf rechten Wegen. Der Klopfende hatte laut sprechen müssen, um von dem im Zimmer verstanden zu werden; darum hatte auch ich seine Worte gehört. Infolge des Wortes ‚erwischt‘ stand ich leise auf, schlich mich an die Verbindungstür und horchte. Der eine ließ den andern ein; die Tür wurde wieder verschlossen, und dann hörte ich die Frage:
„Können wir belauscht werden?“
„Nein“, wurde geantwortet.
„Aber ich sah draußen, daß nebenan noch ein Zimmer ist!“
„Das ist unbewohnt.“
„Weißt du das genau?“
„Ja.“
„Hast du dich erkundigt?“
„Nein, weil das vielleicht aufgefallen wäre. Man kann in unserer Lage nicht vorsichtig genug sein. Aber ich bin schon vorhin und auch jetzt wieder im Hofe gewesen und habe gesehen, daß der Laden vor dem Fenster verschlossen ist; es ist also unbewohnt. Und selbst wenn jemand drüben wäre, könnte er uns nicht hören; durch die Mauer dringt kein Wort.“
Der Sprecher wußte nicht, daß sich hinter dem Schranke eine Tür befand.
„Setz dich!“ sagte er weiter. „Du hast diesen Watter beobachtet. Wie denkst du heut? Noch so wie erst?“
„Ja. Wir haben es bei ihm jedenfalls viel leichter als bei seinem vorsichtigen – – –“
Pum – pum – derum! fiel unten die Musik mit Paukenschlägen ein, und ich konnte nichts mehr hören. Wer waren die beiden Männer da drüben? Jedenfalls der Prayer-man und der Fremde, welchem er den von mir beobachteten Blick zugeworfen hatte. Und welche Person war mit den Worten ‚seinem vorsichtigen – – –‘‚ gemeint gewesen? Da sie Watter erwähnt hatten, so glaubte ich, diesen abgebrochenen Ausdruck auf Welley, seinen Kumpan, beziehen zu müssen. Und wenn ich damit das Richtige getroffen hatte, so war Welley zwar ein vorsichtiger Mann gewesen, aber dennoch tot, meine Voraussage also eingetroffen. Dieser Gedankengang führte also noch weiter. Nämlich, wenn alles so war, wie ich dachte, so befanden sich Welleys Mörder oder doch wenigstens zwei Mitschuldige da drüben in dem Zimmer neben mir.
Dieser Gedanke ließ mich meine Arbeit vergessen, und ich ging an meine Tür, um mich zu überzeugen, daß sich das Lochplättchen auf dem Schlüsselloch befand und von dem Lichte in meiner Stube also nichts zu sehen war, falls die beiden Männer beim Verlassen des Nebenzimmers ja auf den Gedanken kommen sollten, einmal hindurchzublicken. Dann ging ich wieder an die Verbindungstür, drehte den Schlüssel leise, leise auf, hob die Klinge empor und öffnete sie.
Ich hatte ein sehr feines Gehör, konnte aber doch nichts verstehen, sondern nur vernehmen, daß gesprochen wurde. So lauschte ich längere Zeit vergeblich, bis unten die Polka zu Ende war; da hörte ich nun die Worte:
„Du hast ihm die Nuggets gezeigt?“
„Natürlich! Anders ging es doch nicht.“
„Was sagte er?“
„Er wurde begierig wie ein Teufel auf die Seele. Der alte Kerl ist habsüchtig wie kein zweiter Mensch.“
„Die Hauptsache ist, ob er auf den Handel einging.“
„Sofort!“
„Wieviel hast du verlangt?“
„Hunderttausend Dollars.“
„Ah! Was meinte er zu dieser Summe?“
„Sie war ihm zu hoch; er bot fünfzigtausend.“
„Das war auch genug“, erklang es mit einem Lachen, an dem ich nun den Prayer-man ganz genau erkannte. Er war es und kein anderer Mensch, der zuerst in das Nebenzimmer getreten war und dann dem andern geöffnet hatte. Dieser fiel in das Lachen ein und fuhr fort:
„Ja, es wäre auch genug für nichts; aber ich versuchte doch, noch mehr herauszuschlagen, und es kam soweit, daß wir den Unterschied von fünfzigtausend halbierten und auf fünfundsiebzigtausend einig wurden.“
„Wann zahlbar?“
„Sofort, wenn ich ihm das Finding-hole übergeben habe.“
„Mit welcher Münze?“
„Münze? Welchem vernünftigen Menschen würde es wohl einfallen, schwere Münzen so weit und hoch da hinaufzuschleppen. Er zahlt mit einer Anweisung.“
„Pfui!“
„Was pfui?“
„Ich liebe Anweisungen nicht; sie sind nicht sicher.“
„Diese ist sicher!“
„Pshaw! Es braucht nur der geringste Verdacht zu entstehen, so wird die Anweisung nicht honoriert.“
„In
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