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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Entleerung des Hole den sichern Tod nach sich ziehen muß. Und zu dieser schrecklichen Arbeit sollten Onkel und Neffe gezwungen werden! Es gehörte eine geradezu teuflische Verworfenheit und Gefühllosigkeit dazu, einen solchen Plan nur zu entwerfen, geschweige denn auszuführen. Es stand natürlich bei mir fest, daß ich dieses Vorhaben unbedingt verhindern müsse.
    Soweit ich es bis jetzt kannte, konnte ich freilich nichts dagegen tun. Hätte ich die Kerle angezeigt, so wäre ich einfach abgewiesen worden, weil ich nichts beweisen konnte. Ich mußte Belege haben, unumstößliche Belege, und hoffte, während des weitern Verlaufes der Unterhaltung vielleicht noch so viel zu erfahren, daß ich, wenn ich auch keine direkten Beweise bekäme, sie mir doch aus dem Erlauschten konstruieren könne. Ich wartete also mit Sehnsucht und größter Spannung auf die nächste Tanzpause, während welcher das Gespräch für mich wahrscheinlich wieder hörbar wurde.
    Endlich, endlich hörte die Musik wieder auf, und ich schob mich so nahe, wie ich nur konnte, an die Hinterwand des Schrankes, welcher jedenfalls leer war, weil darin befindliche Kleider den Schall so gedämpft hätten, daß selbst mein ausgezeichnetes Gehör nicht scharf genug gewesen wäre, die vor dem Schranke im Zimmer gesprochenen Worte zu verstehen.
    Ich lauschte also, hörte aber kein Wort. Ich wartete, doch vergeblich. Ich blieb bis zum Beginn des neuen Tanzes auf meinem Posten, vernahm aber keinen Laut, keinen Ton, nicht das allergeringste Geräusch. Es war nicht anzunehmen, daß die beiden Männer so lange Zeit wortlos beieinander saßen; sie mußten sich entfernt haben, und ich hatte das wegen des von unten heraufschallenden Lärmes nicht gehört.
    Was nun tun? Mich wieder hersetzen und weiterschreiben? Dazu fehlte mir die nötige Sammlung. Die Sache ließ mir keine Ruhe; ich löschte meine Lampe aus und ging, meine Tür von draußen verschließend, hinunter. Die Gaststube lag rechts. Links war ein kleines Kabinett, eigentlich für den Portier bestimmt; da aber keiner da war, hatte der Oberkellner die Obliegenheiten eines solchen mit übernommen. Dort hingen auch die Schlüssel der Gastzimmer.
    Eben kam der Oberkellner aus diesem Kabinett heraus und wollte eiligst nach der Stube. Ich hielt ihn trotz dieser Eile an und fragte ihn:
    „Sitzt der Prayer-man noch drin, Herr Doktor?“
    „Ja“, antwortete er.
    „Seit wann?“
    „Seit einigen Stunden schon.“
    „Aber er ist einmal für einige Zeit fort gewesen?“
    „Nein.“
    „Wirklich nicht?“
    „Wirklich nicht!“
    „Hören Sie, Sie haben keine Zeit, aber meine Sache ist höchst wichtig, und ich vertraue sie Ihnen mit der Bitte an, keinem, aber auch gar keinem Menschen etwas zu sagen. Ich werde Ihnen dafür bei Winnetou und Old Shatterhand dankbar sein. Der Prayer muß einmal fort gewesen sein; er muß! Sie haben vielleicht keine Acht auf ihn gehabt?“
    „Sie müssen sich irren, Mr. Meier. Grad auf ihn habe ich mehr Acht als auf jeden andern Gast, weil er seit einiger Zeit trinkt geradezu wie ein Kellerloch. Er und Mr. Watter scheinen es darauf abgesehen zu haben, zu erfahren, wer von ihnen am meisten vertragen kann. Kaum habe ich ihnen volle Gläser gegeben, so muß ich schon wieder hin, um sie von neuem zu füllen. Da müßte ich es bemerkt haben, wenn er einmal auch nur auf fünf Minuten fortgewesen wäre. Er ist nicht aufgestanden.“
    „Wo hat er seine Stube?“
    „Im Hinterhaus über dem Stalle.“
    „Wie? Nicht in dem Vorderhause?“
    „Nein.“
    „Und Watter? Wohnt er vielleicht neben mir?“
    „Nein; er wohnt am andern Ende des Korridors.“
    „Wer aber logiert neben mir?“
    „Niemand.“
    „Das ist unmöglich. Es waren Leute nebenan im Zimmer!“
    „Auch da müssen Sie sich geirrt haben, Mr. Meier. Ich müßte es doch vor allen Dingen wissen, wenn das Zimmer neben Ihnen besetzt wäre, denn nicht der Wirt, sondern ich pflege den ankommenden Gästen ihre Wohnungen anzuweisen.“
    „Hm! Ist der Schlüssel zu dem Nebenzimmer da?“
    „Ja; hier!“
    Er nahm ihn vom Nagel und zeigte ihn mir.
    „Erlauben Sie ihn mir auf eine Minute; ich will einmal hinauf! Aber bitte also, keinen Menschen ein Wort sagen!“
    „Keinem“, nickte er. „Mein Ehrenwort darauf!“
    Ich begab mich zunächst in mein Zimmer, um meine Lampe wieder anzubrennen; dann ging ich mit dieser auf den Korridor, um die Nachbarwohnung aufzuschließen. Der Schlüssel paßte ganz genau; es war der richtige. Ich trat

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