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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hinein, zog die Tür hinter mir zu und ließ das Licht der Lampe überallhin, in jeden Winkel fallen. Die Sache war mir so wichtig, daß ich so genau wie sonst selten forschte; es durfte mir kein Stäubchen entgehen.
    Und richtig, da find ich eine Spur. Es lagen Schnupftabakskörnchen auf dem Boden, und ich hatte heut gesehen, daß der Prayer-man nicht nur schnupfte, sondern sogar ein leidenschaftlicher Schnupfer war, denn während der kurzen Zeit, in der es mir heut möglich gewesen war, ihn zu beobachten, hatte er doch wenigstens zwanzigmal die Finger in der Schnupfdose und an der Nase gehabt. Ich suchte weiter und fand noch mehr Tabaksbröckchen, welche eine allerdings nicht zusammenhängende aber doch für mich bemerkbare Linie von der Tür nach dem Fenster bildeten, also über das ganze Zimmer hinweg. Er war vor dem Erscheinen seines Spießgesellen erregt hin und her gegangen, hatte dabei die Dose in der Hand gehabt und in dieser Erregung, wie es leidenschaftliche Schnupfer zu tun pflegen, die Nase in einem fort mit Prisen gefüttert und dabei den Schnupftabak verstreut. Also, der Oberkellner mußte sich irren; er konnte sagen, was er wollte, der Prayer-man war dennoch dagewesen!
    Ich ging wieder hinaus, verschloß die Tür, setzte die ausgelöschte Lampe in mein Zimmer, verschloß dieses und trug den Schlüssel, welchen ich von dem Oberkellner erhalten hatte, in das Kabinett, wo ich ihn an den Nagel hing. Der Prayer-man hatte diesen Schlüssel heimlich weggenommen, um in der unbewohnten Fremdenstube seinen Bundesgenossen zu erwarten; so war es, anders nicht. Woher aber kannte er diesen Schlüssel so genau, und warum hatte er den Komplizen nicht hinüber nach dem Hintergebäude in seine eigene Stube bestellt? Vielleicht, weil die heimliche Zusammenkunft den dort Bediensteten leichter aufgefallen wäre als den Bewohnern des Vorderhauses, wo man in dem da herrschenden Gedränge den einzelnen nicht beobachtete.
    Was sollte ich nun tun? Mich in die Gaststube setzen und den Prayer-man beobachten? Nein, denn das konnte ihm leicht auffallen, und ich liebe nicht den Dunst und Qualm so eng gefüllter Lokale. Schreiben? Meine Gedanken waren abgelenkt, und ich wußte, daß ich jetzt nichts fertigbringen würde. Ich beschloß also, einen Spaziergang zu machen und während desselben über diese Angelegenheit nachzudenken, die eine so wichtige war und mir doch nicht die kleinste Handhabe zum Anfassen bot.
    Von der Straße aus warf ich einen Blick durch die Fenster in die Stube. Der Fremde, den ich im Verdachte des geheimen Einverständnisses mit dem Prayer-man gehabt hatte, war nicht da; dieser letztere aber saß mit Watter beisammen und erhob eben jetzt sein Glas, um mit ihm anzustoßen. Hatte er vielleicht die Absicht, ihn kaputtzutrinken? Ich riß aus meinem Notizbuche ein Blatt, worauf ich die Warnung schrieb:
    „Betrinkt Euch nicht, Mr. Watter, und gebt heut sehr auf Eure Nuggets acht!“
    Dieses Blatt faltete ich zusammen, gab es einem von den Knaben, welche von der Straße aus neugierig in das Lokal gafften, zeigte ihm den Mann, dem er es zu bringen hatte, und sagte, daß er keine Auskunft geben und gleich wieder gehen solle; dann werde er zwanzig Cents von mir erhalten. Er ging hinein, und ich sah, daß er den Zettel richtig übergab; es fielen einige kurze Worte, und der Adressat steckte den Zettel, ohne ihn zu lesen, in die Westentasche.
    „Nun? “ fragte ich den Jungen, als er wiederkam.
    „Er fragte mich, von wem es sei; ich sagte ihm, das werde er schon lesen; da meinte er, übers Jahr werde er antworten, und steckte das Papier ein.“
    Der Knabe erhielt seinen Botenlohn, und ich ging. Ich hatte meiner Pflicht genügt; mehr konnte ich jetzt nicht tun. Nach einem Spaziergang von einer halben Stunde hatte ich mir diese Angelegenheit aus dem Kopfe gebracht, und ich kehrte nach dem Hotel und in meine Stube zurück, um die unterbrochene Arbeit wiederaufzunehmen, mit welcher ich zwar flott vorwärts, aber doch erst um die Mittagszeit zu Ende kam. Den Morgenkaffee hatte ich mir auf das Zimmer bringen lassen; zum Diner ging ich in die Gaststube hinab, mit deren Wiederherstellung nach der gestrigen Verwirrung man erst jetzt zu Ende war.
    Ich war der einzige Gast, so daß sich der Oberkellner ganz der für mich so freundlichen Aufgabe widmen konnte, mir das Beste von den übriggebliebenen Resten des Festmahles aussuchen und wärmen zu lassen.
    Später kam Watter hinzu. Er sah angegriffen und übernächtigt aus und ging

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