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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auch ein gewisses Gericht, welches man selbst ausübt, und ich werde Sie sogleich ein solches kennen lehren: Ich bin Ihnen den ‚Schwindler‘ vorhin schuldig geblieben und will ihn jetzt bezahlen; der heutige Preis dafür sind drei Ohrfeigen, die ich Ihnen jetzt geben werde. Eine Quittung brauche ich nicht. Kommen Sie her, Sie frommgesalbter Mann!“
    Er wollte schnell fort; ich nahm ihn aber beim Genick, drehte ihn herum und verabreichte ihm die erwähnte Zahlung mit solcher Schnelligkeit, daß er gar nicht zu dem Versuche kam, sich ihrer zu erwehren. Dann gab ich ihm einen Stoß, daß er weit fort zu Boden flog, und nahm der Dame endlich die zweihundert Dollars aus der Hand. Das Geld einsteckend, grüßte ich die Anwesenden, deren Gesinnung sich nach den vier Treffern vollständig umgekehrt hatte, und als ich mich mit Mrs. Hiller und ihrem Sohne entfernte, schallte ein vielstimmiges Bravo hinter uns her.
    „Das war ein wahrhaft köstliches Abenteuer!“ sagte meine Begleiterin. „Das kommt bei Ihnen alles so schnell und so selbstverständlich, die Schüsse und die Ohrfeigen, daß man es sich gar nicht anderskommend denken kann! Sie sind durch unsern Spaziergang um ein hübsches Sümmchen reicher geworden!“
    „Pshaw! Um das Geld ist es mir wahrlich nicht; ich habe es genommen, um ihn zu strafen. Übrigens ist Ihr Vertrauen zu mir auch belohnt worden, wenn auch nur mit einem kleinen Betrage. Gehen wir heim?“
    „Ja, natürlich zu mir!“
    „Gestatten Sie mir, daß ich höflichst ablehne!“
    „Warum?“
    „Mir ahnt, daß der Prayer-man sich baldigst aus dem Staube machen wird, und da habe ich Gründe, im Hotel zu sein. Ich habe ihm einiges gesagt, was ihn hier moralisch in Mißkredit gebracht hat. Ich vermute, er fühlt, daß ihm der Boden unter den Füßen zu warm wird. Ich begleite Sie bis an Ihre Wohnung. Vielleicht sehen wir uns am Abend wieder.“
    „Erst am Abend?“ fragte der Sohn. „Wie plötzlich können Sie fort müssen! Es ist mir jede Viertelstunde kostbar, die ich mit Ihnen beisammen sein kann. Arbeiten Sie jetzt?“
    „Nein.“
    „Haben Sie sonst etwas Wichtiges vor?“
    „Nein.“
    „So erlauben Sie, daß ich bei Ihnen bleibe. Wir trinken ein Bier im Hotel. Sie tun mir einen großen Gefallen damit. Ich gehe so wenig aus.“
    Es lag mir nichts daran; aber ich konnte nicht unhöflich sein und sagte also ja. Man ist eben, wenn man Bekannte aufsucht, niemals sein eigener Herr! Wir gingen also, nachdem wir seine Mutter heimgebracht hatten, nach dem Hotel, wo uns der Wirt im Beisein seiner Frau und des Oberkellners mit der verwunderten Frage empfing:
    „Was ist denn geschehen, Mr. Meier? Erst kam der Prayer-man gelaufen, schimpfte aus allen Tonarten auf Sie und erklärte, daß er abreisen werde, weil Sie ihn aus dem Hause und aus der Stadt trieben. Als er nach seinem Zimmer gegangen war, kam auch Mr. Watter, schimpfte ebenso auf Sie und fragte nach dem Prayer-man. Sobald er erfuhr, daß dieser abreisen werde, erklärte er, daß auch er das Hotel verlasse, denn mit einem Menschen, wie Sie seien, möge er nicht unter einem Dache wohnen.“
    „Sie sind nicht beide miteinander gekommen?“ fragte ich.
    „Nein.“
    „Erst der Prayer-man und dann Watter?“
    „Ja.“
    „So weiß der erstere noch nicht, daß der letztere auch Ihr Hotel verlassen will?“
    „Nein. Warum fragen Sie das?“
    Ich hütete mich natürlich, ihm den Grund mitzuteilen. Wenn meine allerdings kühnen Schlüsse keine Trugschlüsse waren, so mußte Watter jetzt beim Zusammenpacken seiner Sachen entdecken, daß – – – Ich kam gar nicht dazu, diesen Gedanken vollends auszudenken, denn der Genannte stürzte, bleich vor Schreck und im höchsten Grade aufgeregt herein, auf den Wirt zu und rief:
    „Schickt sogleich fort, Sir, sogleich! Ich muß den Sheriff und auch den Konstabler haben, aber sofort, sofort!“
    „Weshalb? Wozu?“ fragte der Wirt erstaunt.
    „Ich bin bestohlen worden, ganz entsetzlich bestohlen! Man ist in mein Zimmer eingebrochen und hat mir meine Nuggets, alle meine Nuggets und meinen Goldstaub geraubt. Schickt sogleich fort, sogleich!“
    Man kann sich denken, welchen Eindruck diese Worte machten. Ein jeder Wirt hält auf den Ruf seines Hauses und ist bereit, ihm Opfer zu bringen. Hier handelte es sich um keinen vielleicht zu vertuschenden, sondern um einen ganz ungewöhnlichen Diebstahl, denn auch der Hotelbesitzer wußte, daß Watters Gold einen halben Zentner wog. Er forderte diesen auf,

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