06 - Weihnacht
ruhig zu sprechen und ihm den Hergang der Sache kurz mitzuteilen. Der Bestohlene versuchte, seine Aufregung zu bemeistern, und erzählte:
„Ihr wißt, Sir, daß und weshalb ich Euer Haus verlassen will. Ich ging nach meinem Zimmer, um einzupacken. Der Kasten mit dem Golde steht im Schranke; er kann nicht herausgenommen werden, denn ich habe ihn mit acht Schrauben an den Boden des Schrankes befestigt. Die Schrauben gehen durch den Boden des Kastens in den Boden des Schrankes, und wenn man sie aufdrehen will, kann man nur dann zu ihnen kommen, wenn man den Inhalt, also die Nuggets herausnimmt. Das macht aber soviel Mühe und erfordert eine so lange Zeit, daß sich jeder Einbrecher hüten wird, den Kasten mit dem Golde zu stehlen. Dennoch aber ist es fort, vollständig fort! Der Kasten war natürlich verschlossen und der Schrank auch, und ich habe beide Schlüssel bei Tage stets hier in meiner Hosentasche und des Nachts unter dem Kopfkissen gehabt. Jetzt öffnete ich den Schrank und auch den Kasten, um ihn loszuschrauben – er war leer! Schicken Sie also augenblicklich zum Konstabler und auch zum Sheriff. Es darf kein Mensch das Haus verlassen, kein einziger! Ich erkläre jedermann, der sich in seinen Mauern befindet, für arretiert, besonders aber den fremden Deutschen, der sich Mr. Meier nennt!“
Diese Worte lenkten natürlich alle Augen auf mich.
„Warum besonders grad diesen Herrn?“ fragte der Wirt erstaunt.
„Weil er es höchstwahrscheinlich gewesen ist, denn ich habe ihm alles erzählt. Es war das eine großartige Unvorsichtigkeit von mir, welche ich schwer zu bereuen habe!“
Ich nahm diese Anschuldigung in Anbetracht der Aufregung, in welcher Watter sich befand, ruhig hin. Der Wirt achtete nicht auf sie und forderte ihn auf, mit ihm nach dem Zimmer zu gehen, wo der Diebstahl stattgefunden hatte. Als sie gingen, wendete sich Watter an der Tür noch einmal um und rief dem Oberkellner zu:
„Mr. Rost, paßt auf diesen Deutschen sehr scharf auf, bis ich wiederkomme! Er darf dieses Zimmer nicht verlassen!“
Hiller war über meine Gleichgültigkeit im höchsten Grade erstaunt. Die Wirtin und die Oberkellner baten mich, die Worte des zornigen Goldsuchers nicht so zu nehmen, wie sie geklungen hatten; er sei noch darüber bös, daß er gestern eine so kräftige und ihn lächerlich machende Lehre von mir erhalten habe.
„Ahnen denn auch die Wirtsleute nicht, daß Sie gar nicht Meier, sondern anders heißen und Old Shatterhand sind?“ fragte mich Hiller leise.
„Sie befinden sich in vollständigster Unwissenheit darüber“, antwortete ich ihm.
„Ich würde es ihnen sagen.“
„Warum?“
„Weil man sich in Beziehung auf den von diesen Menschen auf Sie geworfenen Verdacht ganz anders gegen Sie verhalten würde.“
„Oh, diese Leute wissen gar wohl, daß ich der Dieb nicht bin, und wenn es andern einfallen sollte, sich nach der albernen Verdächtigung zu richten, so werde ich ihnen allerdings, falls mir nichts anderes übrig bleibt, meinen Namen nennen, der sie eines Bessern belehren wird.“
„Ja, denn der Name Old Shatterhand ist so bekannt und geachtet, daß er Ihnen als unumstößlichster Beweis Ihrer Ehrlichkeit dienen würde.“
Der Wirt kam mit Watter zurück. Er hatte einen Boten nach der Polizei geschickt und erklärte nun:
„Wenn die Beamten keine Klarheit in die Sache bringen, so bleibt sie ein Geheimnis für alle Zeit. Ich kann nicht begreifen, wie das zugegangen ist!“
„Ich auch nicht“, stimmte Watter bei. „Der Vorgang an sich ist mir vollständig unerklärlich, desto besser aber weiß ich, wer der Halunke ist, der mich zum armen Mann gemacht hat oder vielmehr hat machen wollen, denn er ist noch da, und ich hoffe, man wird ihn zu zwingen wissen, den Ort anzugeben, wo er meine Nuggets hingesteckt hat. Ich bleibe hier sitzen und lasse ihn nicht von der Stelle, bis die Polizei gekommen ist!“
Er setzte sich, mir giftige, haßerfüllte Blicke zuwerfend, zwischen mich und die Tür. Ich schwieg auch jetzt; der Wirt aber sagte zu ihm:
„Ihr habt jetzt schon oben in Eurem Zimmer von mir gehört, daß Ihr mit Eurem Verdacht auf ganz falschem Wege seid. Der Dieb ist jedenfalls an einem ganz andern Orte als hier in meinem Hause zu suchen.“
„Pshaw! Das weiß ich besser!“
„Er würde sich hüten, sich hierher zu setzen!“
„Oh, es gibt freche Patrone, welche grad dadurch, daß sie bleiben, den Verdacht von sich ab und auf Unschuldige lenken wollen. Ich kenne diese
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