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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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jetzigen Besitzers gekommen? Etwa durch ein Verbrechen! Ich hatte keine Zeit, jetzt meine Gedanken mit dieser Frage zu beschäftigen, und fühlte mich zunächst durch das Bewußtsein beruhigt, eine mir bekannte Waffe in der Hand zu haben. Dennoch war ich wenigstens des ersten Schusses nicht sicher, weil die Möglichkeit vorlag, daß das Gewehr inzwischen schlecht behandelt worden war. Der erste Schuß mußte ein Probeschuß sein. Aber wohin? Ich wollte meinen Gegner mit achtundvierzig überschießen; dazu genügten vier Schwarze; ich hatte also die erste Kugel ganz frei und beschloß, sie gar nicht nach der Scheibe zu richten.
    „Vorwärts, vorwärts!“ riefen die Zuschauer ungeduldig. „Schießen Sie doch! Wann geht es denn los?!“
    Ich nahm das Gewehr so dumm wie möglich in Anschlag, zielte auf einen im Kugelfange befindlichen Ast und drückte los. Ein schallendes Gelächter begleitete diesen Mißerfolg, der aber für mich ein sehr beruhigender Erfolg war, den der Ast war getroffen.
    „Er hat den Kugelfang erschossen, vollständig totgeschossen!“ johlte der Prayer-man. „Geht weg, Leute, geht weg, denn es ist höchst gefährlich, seitwärts von ihm zu stehen! Ich bin überzeugt, daß er es noch fertigbringt, grad längs seiner Ellbogen hinauszuschießen!“
    Ein allgemeiner, lauter Beifall belohnte diesen Witz. Ich lud wieder und sah dabei, daß Hiller jetzt doch eine besorgte Miene machte. Darum forderte ich ihn laut auf:
    „Seien Sie unbesorgt um die vierzig Dollars, Mr. Hiller! Lassen Sie sich das Geld immerhin schon jetzt von Ihrer Mutter geben, denn ich werde gewinnen!“
    Hierauf ertönte allerdings ein ganz unbeschreibliches Gelächter, und Watter rief, als es sich ziemlich gelegt hatte:
    „Da hört man ja, daß der Kerl verrückter ist als verrückt! Wenn er die vorgelegte siebenundvierzig überschießen wollte, müßte er mit vier Kugeln vier Schwarze treffen!“
    „Das werde ich auch!“ antwortete ich.
    „Hallo! Das kann man gar nicht anders als den reinen Wahnsinn nennen!“
    „Pshaw! Ihr scheint alle blind zu sein! Ich mußte natürlich das Gewehr prüfen und hätte das mit einem Zieler in die Zwölf tun können, hielt dies aber einem solchen Luftschützen gegenüber, wie der Prayer-man ist, gar nicht für nötig. Wer wie er vorhin, wo es ihm ernst war, auf fünf Kugeln nur eine Fünfundfünfzig macht, der mag seine ‚Dummköpfe‘ nur an die eigene Adresse richten. Also, aufgepaßt! Von jetzt an geht es schneller als bisher!“
    Mein zweiter Schuß krachte; er traf einen Finger breit vom Rande ins Schwarze; die nächste Kugel ging schon mehr in die Mitte, und der vierte und der fünfte Schuß nahmen grad durchs Zentrum ihren Weg. Ich weiß wohl, daß ich sehr gewagt gehandelt hatte, als ich darauf rechnete, vier Treffer hintereinander zu machen; aber es gibt Schützen, und ich gehöre glücklicherweise zu ihnen, welche – – – ich weiß das, was ich sagen will, nicht anders zu verdeutlichen – – – welche die Treffer schon vorausfühlen. Es ist das ungefähr so, als wenn ein guter Billardspieler versichert, daß er hundert Points hintereinander machen werde. Er weiß, daß er grad jetzt ruhiges Blut hat und daß auch sonst alle Erfordernisse dazu vorhanden sind – – er macht die hundert wirklich. Die geringste Kleinigkeit hätte eine der vier Kugeln ablenken können, das weiß ich wohl, aber ich wußte und wußte es eben, daß dies nicht geschehen werde, und diese Zuversicht hilft nicht zum wenigsten zu dem Erfolg.
    Jetzt verhielten sich die Zuschauer freilich ganz anders als nach meinem ersten Schusse! Zunächst war alles still; dann brach ein wahrer Sturm des Beifalles los, um den ich mich aber gar nicht bekümmerte. Ich sah, daß Frau Hiller ihrem Sohne die vierzig Dollars gab, und ging zu der Dame, welche die Zweihundert hielt. Schon wollte sie mir das Geld geben, da stürzte der Prayer-man herbei und schrie:
    „Halt, halt! Das Geld ist mein; es ist ja alles nur ein Scherz gewesen!“
    Es bildete sich im Nu ein Kreis von Zuschauern um uns, welche neugierig waren, wie dieses Quiproquo sich lösen werde. Mein Gegner wollte nach dem Gelde greifen; da schob ich meinen Arm vor und sagte:
    „Ich habe Ihnen schon einmal eine Lehre gegeben; versuchen Sie es ja nicht, eine zweite herauszufordern, denn diese würde viel kräftiger als die erste ausfallen! Sie haben die zweihundert Dollars gesetzt, und ich habe sie gewonnen; sie sind mein! Ich rate Ihnen, diesen Verlust

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