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060 - Bis zum letzten Schrei

060 - Bis zum letzten Schrei

Titel: 060 - Bis zum letzten Schrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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die
Weiße Frau zu sehen bekäme, den Verstand verlöre. Gerard Tulliers Gattin sollte
dieses Schicksal widerfahren sein, und Soiger wußte es vom Hörensagen.
    In einem
Anfall von Raserei hatte sie sich von der höchsten Turmspitze gestürzt. Der
kleine Simon Lautrec Tullier war zu diesem Zeitpunkt gerade eineinhalb Jahre
alt gewesen.
    Aber es hieß
auch, daß Madame Tullier von Anfang an nicht auf der Burg habe leben wollen,
daß sie eine Abneigung gegen diese groben, düsteren Mauern gehegt habe. Sie war
sehr sensibel gewesen.
    Diese Dinge
wußte man, aber man sprach nicht darüber. Und die Vorfälle hatten sich noch vor
Soigers Zeit als Burgaufseher ereignet.
    Er mußte an
das Geschehen denken, weil ihm auch der Maler so merkwürdig, so verändert
vorkam. Hatte Tullier nicht selbst gesagt, daß er die Weiße Frau gesehen hätte?
    André Soiger
war froh, daß seine Unterredung mit Tullier und seine Gedankengänge
unterbrochen wurden.
    Der Maler
setzte gerade an, etwas zu sagen. »Wenn Sie Angst haben, André, dann brauchen
Sie das nur zu sagen. Ich werde in diesem Fall allein meine Wege gehen und…«
    Da wurde
Tullier unterbrochen.
    Durch das
offene Fenster vernahmen beide die helle, laute Stimme von Marie Soiger, deren
Worte unmittelbar nach dem Rutschgeräusch von Autoreifen hörbar wurden.
    »Sie fahren
sich noch mal zu Tode, Monsieur Simon! Wieder wie ein Wilder über die Zugbrücke
gejagt, obwohl nur dreißig Stundenkilometer erlaubt sind. Stellen Sie sich vor,
das Tor wäre mal nicht geöffnet.«
    Eine
jugendliche Männerstimme lachte. »Wenn ich in die Gerade komme, kann ich schon
aus dreißig Metern Entfernung sehen, ob das Tor geöffnet ist oder nicht. Und
dementsprechend gebe ich Gas! Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Marie! Ich
hab den Wagen schon in der Hand.«
    André Soiger
warf einen kurzen Blick aus dem Fenster nach unten.
    »Ihr Sohn,
Monsieur«, sagte er leise.
    »Ich kann mir
denken, was er will. Er läßt sich nur einmal im Jahr sehen, aber dann kostet
das gleich etwas.«
    Soiger war
froh, daß er das Zimmer des Malers verlassen konnte. »Ich werde ihm sagen, daß
Sie hier oben sind.«
    Gerard
Tullier legte keinen großen Wert auf die Begegnung mit Simon. Die beiden Männer
hatten sich im Lauf der Jahre immer weiter auseinandergelebt.
    Die Begrüßung
zwischen Vater und Sohn war auch betont kühl.
    Simon Lautrec
Tullier nahm nicht einmal Platz. Der junge Franzose blieb am Fenster stehen,
lehnte sich gegen den Rahmen, zündete sich eine Zigarette an und ließ seinen
Blick über die Reihen von Bilder schweifen, welche die Wände ringsum fast
lückenlos verdeckten.
    »Ich brauche
deine Hilfe«, sagte er knapp.
    Gerard
Tullier stand hinter dem breiten, ausladenden Tisch, auf dem die alten,
abgegriffenen, wurmstichigen Bücher lagen.
    Er blätterte
darin und hob nicht den Blick, um seinen Sohn nicht ansehen zu müssen. Gerard Tullier
war zu sehr enttäuscht worden, als daß er noch irgendwelche väterlichen Gefühle
empfand.
    »Du meinst,
du brauchst Geld«, entgegnete der alternde Maler hart. Seine Lippen wurden zu
einem schmalen Strich in seinem faltigen Gesicht.
    »Okay. Ich
bin verdammt in der Klemme.«
    »Das ist
deine Sache.«
    »Ich will
nichts von dir geschenkt haben. Ich bitte dich darum, mir etwas zu leihen.« Die
Härte und Arroganz in der Stimme des jungen Mannes schwand langsam.
    Gerard
Tullier hob unmerklich die grauen Augenbrauen. »Du bittest mich um etwas? Das
ist mir neu! Wenn du sonst gekommen bist, hast du gefordert. Es muß dir
verdammt schlecht gehen.«
    Es war Simon
Lautrec Tullier nicht unangenehm, daß sein Vater so reagierte. Er wußte, wie er
den alten Mann herumkriegen konnte.
    »Ich bin
überzeugt davon, dir die Summe in spätestens einer Woche bis auf den letzten
Franc zurückzahlen zu können.«
    Gerard
Tullier leckte sich über die Lippen. »Du redest von einer unbestimmten Summe.
Bis jetzt hast du mir nicht gesagt, wie hoch der Betrag sein soll. Und selbst
wenn ich wüßte, wieviel du brauchst, ich könnte dir kaum helfen. Ich sagte es
bereits.«
    »Ich brauche
zehntausend.«
    Gerard
Tullier zuckte zusammen. »Das ist heller Wahnsinn! Ich habe nicht einen
einzigen Franc. Mein Geld ist aufgebraucht. Die Renovierungskosten und die
Restaurierung der Fremdenzimmer haben meine Ersparnisse bis auf den letzten
Rest verschlungen.«
    Simon Tullier
warf die angerauchte Zigarette achtlos aus dem Fenster. Er war mit dem Verlauf
des Gesprächs zufrieden. Er kannte seinen

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