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060 - Bis zum letzten Schrei

060 - Bis zum letzten Schrei

Titel: 060 - Bis zum letzten Schrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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Treppenaufgang, der an
rauhen, kahlen Wänden entlang in die Höhe führte.
    Stufe für
Stufe schritt Soiger empor, den Blick aufwärts gerichtet, ein Bild
konzentrierter Aufmerksamkeit.
    Er erreichte
die obere Etage. Seine Schritte hallten durch das dämmrige Kreuzgewölbe.
    Durch die
farbigen Fenster drang nur geringfügig Lichtschein.
    Der lange
Gang lag vor dem Burgaufseher.
    Eine Tür nach
der anderen schloß er auf und warf einen Blick hinein.
    Dann kam er
an das Zimmer, das genau zu einer Hälfte über dem Rittersaal und zur anderen
über dem Restaurant lag.
    »Ist da
jemand?« Soiger gab seiner Stimme einen ruhigen Klang.
    Er wollte
sich schon abwenden und zum nächsten Zimmer weitergehen, weil er davon
überzeugt war, daß er wieder einem Hirngespinst nachjagte, als sein Blick auf
den Mauervorsprung neben dem Kamin fiel.
    Dort befand
sich unmittelbar über dem Fußboden ein mannshohes, dunkles Loch, ein schmaler
Spalt, durch den man nur seitlich gehen konnte.
    Soiger
wischte sich über die Augen. Er kannte hier jeden Fußbreit Boden, aber dies
hier war ihm neu. Seit wann gab es diesen Durchbruch im Gemäuer? Mißtrauisch
und neugierig näherte er sich dem schmalen, schwarzen Spalt. Gleichzeitig
packte ihn die Angst wieder, die er in der letzten Nacht schon verspürt hatte.
Da bewegte sich ein Schemen in der gähnenden Öffnung. Unwillkürlich umklammerte
Soiger den Besenstiel fester. Ein heller Fleck in der Schwärze vor ihm tauchte
auf. Ein Gesicht. Dann die Stimme. »Soiger! Sie haben es also bemerkt.« André
Soiger zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Der schlanke, etwas
gebückt gehende Mann war ihm kein Unbekannter. »Monsieur?« hauchte der
Burgaufseher. Aus dem schwarzen Spalt kam Gerard Tullier auf ihn zu. »Ich bin
Ihnen eine Erklärung schuldig«, sagte Tullier wenige Minuten später. Die beiden
Männer befanden sich jetzt im Südtrakt der Burg. Dieser Abschnitt war dem
Komplex rund hundertfünfzig Jahre später unter einem anderen Burgherrn
hinzugefügt worden. Die letzten Neuerungen waren vor Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges entstanden, so daß dieser Bauabschnitt nicht mehr stilrein war.
    In diesem
Trakt hatte Gerard Tullier mit seinem Sohn nach dem Tod der geliebten Frau
lange Jahre gelebt. Hier oben in einem umgebauten Turmzimmer hatte der Maler
sein Atelier.
    In den Räumen
und Kreuzgewölben, die unterhalb der Burg lagen, waren noch etwa hundert Bilder
untergebracht, von denen Tullier sich bisher nicht getrennt hatte.
    Soiger und
Tullier hielten sich in dem gemütlich eingerichteten Wohnraum auf, der
unmittelbar vor dem Eingang zum Turmzimmer lag.
    »Ich habe
nicht gewußt, daß Sie auf Schwarzenstein sind, Monsieur«, nutzte Soiger die
Pause, die Tullier einlegte.
    Der Maler
machte einen abgespannten, übernächtigten Eindruck. Seine Augen lagen in
dunkelumschatteten Höhlen.
    »Auch das
gehört zu meiner Erklärung, André«, nickte Gerard Tullier. Mit seinen
siebenundsechzig Jahren wirkte er älter als mancher andere Mann in seinem
Alter.
    »Ich bin
gestern abend, nachdem Sie Ihre Kontrollrunde absolviert hatten,
hierhergekommen.«
    André Soigers
Mundwinkel klappten herab. »Gestern abend, Monsieur?« fragte er ungläubig. »Aber
dann müßten Sie ja…«
    Er sprach
nicht zu Ende.
    Tullier
drehte sich vom Fenster ab. Er stand nun mit dem Rücken zu den winzigen
Fenstern.
    Sein Gesicht
befand sich im Schatten. »Ich bin Zeuge geworden, André! Ich habe sie gesehen –
die Weiße Frau! Es gibt sie wirklich! Zum letzten Mal wurde ihre Rache vor 100
Jahren erfüllt. Es gibt darüber eine schriftliche Notiz. Im letzten Jahrhundert
soll sie insgesamt zehnmal hier in der Burg gesehen worden sein. Aber da
passierte nichts, bis in der letzten Nacht.«
    André Soiger
schluckte. »Sie wurden Zeuge, Monsieur?« Das klang mehr wie eine Feststellung.
    »Ja! Ich bin
sogar schuldig an ihrem Tod! Ich habe Edith Rouflon in den Tod geschickt!«
    Gerard
Tullier preßte seine weißen Hände vor das Gesicht.
    André Soiger
gab sich Mühe, die seltsame, etwas verworrene Geschichte zu verstehen. Aber der
bruchstückhafte Bericht, den Tullier von sich gab, enthielt bisher nicht
allzuviel.
    »Ich erzähl’s
Ihnen der Reihe nach«, fuhr Tullier mit dumpfer Stimme fort. Er ging in dem
kleinen Zimmer auf und ab, nervös und gehetzt, und schien mit seinen Gedanken
ganz woanders zu sein.
    »Sie wissen,
daß ich mich Zeit meines Lebens mit der Erforschung des Geheimnisses dieser
Burg beschäftigt habe.

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