060 - Trip in die Unterwelt
warm. Ich kannte das Schiff einigermaßen, und wenige Minuten später duschte ich abwechselnd heiß und kalt. Dann zog ich mich an und rauchte eine Zigarette. Schon nach dem vierten Zug hörte ich wieder dieses jämmerliche Stöhnen. Inzwischen hatte ich mich dazu durchgerungen, eine eigene Ansicht zu haben: Ich war der einzige Vernünftige in dieser Herde aus Halbirren und Phantasten.
Ich ignorierte den Druck der beiden Kristalle gegen meinen Oberschenkel und zog mich langsam an. Mehr oder weniger begleitete mich ununterbrochen das Wimmern und Stöhnen des Mannes aus der geheimnisvollen Kabine. Es wurde dunkler und dunkler in meiner Kabine. Die Sonne verschwand hinter den Bergen der Felseninsel.
Ich öffnete die Tür und blickte nach rechts und links in den Gang. Noch war die Beleuchtung der Colombo nicht eingeschaltet.
Meine Neugierde siegte.
Ich trug auf der Insel fast immer Mokassins, Schuhe, mit denen man bequem und vor allem geräuschlos laufen konnte. Den Atem anhaltend, schloss ich vorsichtig die Tür meiner Kabine, lief auf Zehenspitzen die sieben Meter bis zur anderen Kabine und presste mein Ohr gegen die Tür.
Drinnen bewegte sich jemand. Er schien sich unablässig hin- und herzuwerfen. Dabei stöhnte er, wimmerte und schrie leise. Ich glaubte, Zähneklappern zu hören und unbekannte Worte. Jetzt erinnerte ich mich, wo ich diese unmenschlichen Laute schon einmal gehört hatte. Es waren eindeutig Entzugserscheinungen. Ich kannte diese Symptome, weil ich einmal einen rauschgiftsüchtigen Freund hatte sterben sehen.
Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter, sah mich um, hielt die Luft an und lauschte auf die Geräusche. Sie kamen alle aus der Richtung des Bugs.
Ich schob die Tür auf. Das Stöhnen kam von links. Ich zögerte, auf den Lichtschalter zu drücken. Das Licht konnte mich verraten. Leise schloss ich die Tür, nachdem ich mich in den Raum hineingeschoben hatte. Es roch nach Schweiß, Angst, Erbrochenem und nach einem merkwürdigen Kraut oder Gewürz. Undeutlich erkannte ich das Gesicht des Mannes.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass er mit breiten Lederriemen an die Koje gefesselt war. Die Riemen liefen um die Handgelenke, Fußgelenke, Oberarme, Oberschenkel und über die Brust.
Ich war mit drei Schritten am Bullauge, zog den dunklen Vorhang nach unten und schaltete das Licht ein.
»Helfen! Brauche Theriak. Hilf mir!«, winselte der Mann.
Er machte einen erbärmlichen Eindruck. Ich sah sein volles, schwarzes Haar und den Schnurrbart, dessen Spitzen traurig nach unten hingen. Obwohl die Haut des Mannes braun gebrannt oder von Natur aus dunkel war, erkannte ich am starken Bartwuchs, dass er schon seit einigen Tagen hier liegen musste.
»Bleiben Sie ruhig!«, sagte ich halblaut. Ich schaltete die kleine Lampe neben seinem Kopf an und das Deckenlicht wieder aus. »Was ist los? Warum sind Sie angeschnallt?«
Er sah mich mit seinen grünen Augen an. Der Mann war vollkommen erschöpft.
»Sie wissen das doch. Hilf mir, du Schuft! Ihr seid doch alle gleich auf diesem verdammten Schiff.«
Er hielt mich für ein Mitglied der Crew. War er ein Süchtiger? Oder waren die anderen Verbrecher? War das etwa ein Boot, auf dem Rauschgift transportiert wurde? Das wäre eine Erklärung für Loewensteins häufige Besuche in anderen Häfen, für seine augenscheinlich niemals versiegenden Geldmittel und sein unerklärliches Verhalten mir gegenüber.
Ich hob die Schultern und sagte: »Ich bin Gast auf diesem Schiff. Seit heute früh.«
Der schlanke, etwa dreißigjährige Mann vor mir zitterte am ganzen Körper. Ich sah, dass er ziemlich groß war, vielleicht knapp zwei Meter, denn die Betten waren nur zwei Meter lang in diesen italienischen Jachten. Er hatte einen durchtrainierten Körper. Normalerweise wäre dieser stöhnende, winselnde Mann als gut aussehend zu bezeichnen gewesen.
»Helfen Sie mir! Sie gehören doch nicht zu diesen Schurken«, stöhnte er.
Ich hatte es auch damals erlebt. Jemand, der einen solchen Zustand ein einziges Mal überstanden hatte, war für den Rest seines Lebens gezeichnet. Er hatte den eigenen Tod mehrere Male miterlebt, und – was noch grausiger war – er konnte sich jederzeit daran erinnern.
Offensichtlich befand sich der Gefangene im Augenblick in einer wachen Phase.
»Nein. Ich gehöre nicht zu den Schurken«, sagte ich.
»Ich bin Dorian Hunter, komme aus London und bin auf eine ganz gespenstische Weise süchtig.«
Ich hörte, wie
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