060 - Trip in die Unterwelt

vorn am Bug zwei Türen zugeschlagen wurden. Dann nahm ich laute, aufgeregte Stimmen und Schritte wahr. Ich drehte mich um. Es gab hier nur ein einziges Versteck – nämlich die Toilette dort hinter dem Duschvorhang. Die Schritte schienen sich zu nähern.
    »Das sehe ich. Wie kann ich Ihnen helfen – außer dass ich Ihnen neues Rauschgift beschaffe?«
    Ich war überzeugt, ihm nicht helfen zu können.
    »Ich brauche etwas, das Seelensalz heißt. Sie kennen es nicht. Es ist ein Bestandteil des Theriak. Das brauche ich.«
    Wieder schüttelte ihn ein neuer Anfall. Eine Tür schlug ganz in der Nähe.
    Ich hob die Schultern, huschte in das überhitzte, nach Feuchtigkeit riechende Duschbad und schob den Vorhang vor.
    Atemlos und aufgeregt wartete ich. Die Schritte kamen näher. Sie stammten von einem großen Mann. Vor der Kabinentür verstummten sie, dann hörte ich das charakteristische Hüsteln Loewensteins.
    Die Tür wurde geöffnet. Der Lichtschalter klickte. Mein Gott, ich hatte vergessen, die Leselampe neben Hunters Kopf auszuschalten! Hunter – fuhr es mir durch den Sinn, bedeutet Jäger, Verfolger.
    »Ich sehe, Sie scheinen Ihre übernatürlichen Fähigkeiten eingebüßt zu haben.«
    Ich erkannte klar Georges Stimme.
    »Gehen Sie weg!«
    George stieß ein kleines, grausames Lachen aus.
    »Sie sind entlarvt, Dorian Hunter«, sagte er halblaut.
    Er stellte einen Gegenstand aus Metall oder Porzellan auf das Brett vor dem Bullauge.
    »So?«, gurgelte zähneklappernd der Gefesselte.
    »Sie haben sich als Beauftragter von Graf Lucius von Alkahest ausgegeben, aber ich habe leider erfahren müssen, dass Sie meinen armen, freilich etwas merkwürdigen Freund und Gönner umgebracht haben. Um es genau zu sagen, Sie haben sein widernatürliches Leben für alle Zeiten und Ewigkeiten ausgelöscht. Das ändert natürlich alle Voraussetzungen für eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Ihnen und mir.«
    »Ich rieche – Theriak«, winselte Dorian Hunter.
    »Richtig. Es befindet sich in diesem hübschen Spielzeug. Ich habe es aus Arabien mitgebracht. Angeblich soll Harun-al-Raschid damit seinen geheimen Lastern gefrönt haben.«
    »Lassen Sie mich ziehen! Geben Sie mir etwas, bitte! Was haben Sie vor?«, heulte Dorian Hunter.
    Solch ein Mann – und dann dieses hündische Winseln des typisch Süchtigen. Es war mehr als desillusionierend.
    »Geben Sie es mir!«
    Wieder lachte George. Ich erkannte ihn nicht wieder. Er schien ein vollkommen anderer Mensch geworden zu sein. Oder war er etwas anderes als ein Mensch? Ein Monster? Jedenfalls gehörte auch er zu der Bande von Irrsinnigen, die sich in diesem März in Nordsardinien austobten.
    »Ich werde es Ihnen geben. Und heute Nacht, in ganz kurzer Zeit, kommt Hekate an Bord. Sie sind ihr Eigentum. Hekate selbst, unsere bezaubernde Freundin, soll bestimmen, was mit Ihnen geschieht, Dämonenkiller Hunter.«
    Hunter gurgelte und wimmerte. Ich stellte mir vor, wie vorsichtig sich George ihm näherte und ihm das Mundstück der Wasserpfeife zwischen die trockenen, aufgerissenen Lippen schob – oder was immer es für ein Gegenstand sein mochte. Zwei Meter neben mir herrschte jetzt Schweigen. Ich hörte ein leises, blubberndes Geräusch, als ob Blasen in einem kleinen Gefäß aufsteigen würden. Das Bett ächzte.
    Die Lederriemen knirschten, als sich Dorian Hunter ruckartig bewegte. Wieder lachte von Loewenstein.
    Dämonenkiller? Was sollte das sein?
    »Ich bin sicher, dass Hekate heute Nacht für Sie eine besonders – nun, sagen wir, zufrieden stellende Aufgabe finden wird«, sagte George. »Bis dahin muss ich Sie wohl noch am Leben erhalten. Hier, noch ein kleines Geschenk!«
    Wieder vernahm ich das Geräusch kleiner Luftblasen. Spielten mir meine überreizten Sinne einen Streich, oder roch ich tatsächlich ein fremdartiges Kraut, eine Art Tee mit einem bitteren und zugleich blütenhaften Aroma?
    »Sie sind nicht Loewenstein. Sie sind einer der Dämonen der Schwarzen Familie«, würgte Dorian Hunter hervor.
    Ich spürte, wie sich auf meinem ganzen Körper eine Gänsehaut ausbreitete. Kalte und heiße Schauer rieselten mir über den Rücken. Auch ich war auf dieser Jacht nicht sicher.
    »Genug für jetzt. Hekate wird andere Dinge mitbringen«, versprach George. Er stand auf und verließ den Raum.
    Der Lichtschalter klickte, die Tür schloss sich. Georges Schritte entfernten sich.
    Ich lockerte meine verkrampfte Haltung, dann verließ ich mein Versteck und ging zurück in die