0604 - Das steinerne Volk
Zamorra.
Während Nicole den Jeep Laredo steuerte, wehte ihnen der Fahrtwind um die Ohren. Zamorra reichte seiner Gefährtin in regelmäßigen Abständen mundgerechte Häppchen des Fast-Food-Frühstücks, das sie unterwegs -natürlich in einer anderen Imbißstube - beschafft hatten. Auf ein Hotelfrühstück hatten sie es beide nicht mehr ankommen lassen wollen, denn gerade, als sie die Straße überquerten, tauchten gleich drei Polizeifahrzeuge auf, offensichtlich von dem jungen Farbigen alarmiert, aber Lafayette war nicht mit von der Partie.
Was auch immer das in diesem Fall bedeuten mochte…
Von der anderen Imbißstube aus hatte Zamorra die Polizei aber nochmal angerufen und darauf hingewiesen, daß hinter dem Haus jemand lag.
Er hoffte, daß das reichte.
Und er hoffte, den Arzt ausfindig machen zu können, der sich um ihn gekümmert hatte. Mit dem jungen Mann in der Imbißstube hatte er ja nicht mehr reden können, er glaubte auch nicht, daß eine Unterhaltung sonderlich viel gebracht hätte.
Nicole bedauerte, daß sie nicht noch einmal ins Hotelzimmer zurückgekehrt waren, sie vermißte ihren ›Kampfanzug‹.
Aber angesichts der so schnell aufgetauchten Polizeifahrzeuge hatte Zamorra sich auf keine Kompromißlösung mehr einlassen wollen. Immerhin waren sie ja wenigstens wieder im Besitz ihrer Hilfsmittel.
»Ist dir eigentlich klar«, fragte Nicole zwischen zwei Häppchen, »daß wir uns in die Illegalität drängen lassen?«
»Was wir tun, ist nicht illegal«, erwiderte Zamorra. »Wir haben nichts verbrochen.«
»Du weißt das. Ich weiß das auch. Dein Dr. Richard Kimble und zahllose andere unschuldig Verfolgte wissen es ebenso. Aber in der Kriminalistik gilt Flucht immer erst mal als Geständnis. Ich schätze, die hiesige Polizei wird das nicht anders sehen.«
»Hättest du es lieber darauf ankommen lassen?« fragte Zamorra.
»Natürlich nicht. Trotzdem wäre es mir lieber, das hier wäre jetzt Großbritannien. Da könntest du deinen Sonderausweis des Innenministeriums aus der Tasche ziehen, und die Herren und Damen Polizisten wären dir im Ernstfall weisungsgebunden.«
»Nur befindet sich dieser Sonderausweis jetzt in meinem Koffer im Spukhaus«, brummte Zamorra.
Er teilte wieder ein Häppchen an sich und Nicole aus.
»Eigentlich müßten wir jetzt doch die Stelle erreichen, wo der Weg durch den Wald zu diesem Haus führt«, sagte er.
Aber da war nichts…
***
»Das gibt’s doch nicht«, entfuhr es Nicole, als sie zum dritten Mal an der Stelle entlangfuhren, an der es irgendwo den Waldweg geben mußte. Bedauerlicherweise gab es keinen konkreten Anhaltspunkt. Der Bereich, in dem dieser Weg auf die Straße treffen mußte, umfaßte schätzungsweise fast einen Kilometer Länge.
»Hat nicht Lafayette gestern auch die Existenz des Hauses geleugnet?« gab Zamorra zu bedenken. »Vielleicht hat das Gemäuer nur gestern existiert - speziell für uns.«
»Das kommt ja gar nicht in Frage! In dem Haus sind doch noch unsere Koffer, und in meinem eine schweineteure Bluse, die ich bisher noch nicht mal tragen konnte! Also hat das Haus gefälligst zu existieren!«
Zamorra sagte nichts dazu.
Nicole stoppte plötzlich den Jeep.
Sie griff nach Hinten zum Alu-Koffer, stellte die Zahlenkombination ein und klappte den Deckel auf. Dann griff sie nach einem Stück Kreide.
»Was hast du jetzt vor?« fragte Zamorra verblüfft.
Nicole sprang aus dem Wagen und begann mit der Kreide auf dem Straßenasphalt zu zeichnen. Stirnrunzelnd machte Zamorra sie darauf aufmerksam, daß es sich um mit weißer Magie aufgeladene Kreide handelte. Er sah sie nur ungern für profane Skizzen vergeudet. Für abstrakte Straßenmalerei schon gar nicht.
»Gerade, weil es magische Kreide ist, dürften die Striche nicht beeinflußbar sein«, erwiderte Nicole.
»Und was ist das für ein großangelegtes Sigill, das du da aufzeichnest?«
»Kein Sigill«, erwiderte Nicole. »Eher ein Plan. Ich versuche unter weißmagischem Schutz aufzuzeichnen, was mir Mulder und Scully verraten haben.«
»Die Kakerlaken?« ächzte Zamorra in wachsender Verzweiflung.
»Ich habe sie ein paar Stunden lang im Hotelzimmer beobachtet, wie ich schon sagte«, erklärte Nicole. »Sie bewegten sich ziemlich hektisch hin und her.«
»Und das lediglich zu zweit. Ungewöhnlich für Kakerlaken. Normalerweise treten diese verdammten Schädlinge doch in großen Scharen auf. Hier sind’s aber nur zwei gewesen - das sollte zu denken geben.«
»Richtig!«
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