061 - Der Blutgraf
nicht helfen. Ich bin hier nur der Hausmeister. Oder besser gesagt: das Mädchen für alles.«
»Hat sich Ennio Moravia mit dem Wagen nach Neapel begeben?«
»Nein, Signore. Der Maestro besitzt ein Flugzeug.«
»Wäre es möglich, daß er die beiden Mädchen nach Neapel mitgenommen hat?«
»Möglich schon, aber ich weiß es nicht. Soll ich dem Maestro irgend etwas bestellen?«
»Nicht nötig«, sagte ich und winkte ab. »Wir kommen wieder.«
***
Alberto Pasina erreichte - wie konnte es anders sein - das Ziel als erster. Er war älter und erfahrener, machte solche Nachtmärsche mehrmals im Jahr und wußte, worauf es ankam.
Auch er hielt sich an die Regeln, folgte nicht dem Verlauf der Straße, sondern suchte sich seinen eigenen Weg. Es war für ihn keine Versuchung, von weitem Autos zu sehen. Er kam nicht im entferntesten auf die Idee, sich ein Stück mitnehmen zu lassen. Das ließ sein Ehrgeiz nicht zu. Er wollte sich selbst beweisen, daß er besser war als Franco und Vittorio, und die beiden sollten in ihm weiterhin ihr ehrliches Vorbild sehen.
Müde, aber zufrieden, nahm er seinen Rucksack ab.
Geschafft.
Er band das Zeltdrittel los, legte es auf den Boden und setzte sich darauf. Um Franco und Vittorio machte er sich keine Sorgen, das waren tüchtige Jungs, die er gut auf ihre Aufgabe vorbereitet hatte.
Sie würden mit Sicherheit bald hier eintreffen.
Todmüde würden sie sein, einer Erschöpfung nahe, aber trotzdem glücklich, die große Aufgabe gemeistert zu haben.
Sie würden rasch die Zeltteile zusammenfügen und dann hineinkriechen, und morgen würden sie sich dieses finstere Schloß mal genauer ansehen.
War es bewohnt? Licht brannte nirgendwo, aber vielleicht waren die Menschen, die hier zu Hause waren, schon zu Bett gegangen.
Pfadfinder waren zumeist willkommen. Vielleicht ließ sich eine kleine private Führung arrangieren. Wenn sie Glück hatten, gab es für sie unter Umständen sogar ein großartiges Frühstück.
Alberto legte sich auf den Rücken und schob die Hände unter den Kopf. Er fürchtete sich im Dunkeln nicht. Was sollte man ihm, einem Pfadfinder, schon antun? Er hatte nicht viel Geld bei sich, und jedermann wußte, daß es sich nicht lohnte, einen Pfadfinder zu überfallen.
Er trug seine Uniform, also war leicht zu erkennen, daß er ein Pfadfinder war.
Das Knacken eines Astes drang an sein Ohr.
Er setzte sich auf und lauschte. Wer kam da auf ihn zu? Franco? Vittorio? Das war auf jeden Fall eine Bombenzeit, und Alberto Pasina beschloß, mit Lob nicht zu sparen.
Er richtete seinen Blick in die Finsternis.
Kein weiteres Geräusch erreichte ihn. Hatte er sich vorhin geirrt? Er glaubte nicht. Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht.
Vielleicht waren Franco und Vittorio unweit von hier aufeinandergetroffen und pirschten sich nun an ihn heran.
Er machte das Spiel mit, tat so, als wäre ihm nichts aufgefallen, legte sich wieder hin, aber er hielt die Augen offen.
Es sollte Menschen geben, die nachtsichtig waren. Zu denen gehörte Alberto Pasina nicht, aber er fand sich in der Dunkelheit leidlich zurecht, und in diesem Moment glaubte er, etwas von einem Baum zum andern huschen zu sehen.
Also doch.
Einige Herzschläge lang passierte nichts. Dann tappten wieder Schritte durch die Nacht, und sie kamen auch näher.
Alberto überlegte, ob er Franco und Vittorio austricksen sollte.
Ein paar Zweige, ein wenig Reisig wäre schnell abgerissen gewesen. Wenn er das Zeug dann in die Zeltplane gerollt und sich hinter einem Baum verborgen hätte, hätten seine jungen Freunde geglaubt, er würde hier liegen. Doch er wollte ihnen die Freude nicht nehmen. Sollten sie getrost über ihn herfallen und glauben, ihn überrascht zu haben. Ihm machte das nichts aus.
Gespannt wartete er.
Da war ein Schleichen und Wischen in der Nacht - dann herrschte einige Augenblicke lang Stille, bevor sich die Geräusche wiederholten.
Sehr nahe mußten Franco und Vittorio nun schon sein. Vielleicht war es auch nur einer von beiden. Jedenfalls bewegte sich derjenige, den Alberto Pasina hörte, äußerst geschickt durch die Dunkelheit. Man brauchte schon sehr gute Ohren und mußte ganz genau aufpassen, um die Geräusche wahrzunehmen.
Plötzlich… nichts mehr.
Nanu, dachte Alberto Pasina.
Er wartete. Die Minuten vertickten. Er spürte jemandes Nähe, fühlte sich belauert, doch niemand kam zu ihm.
Irgendwann verlor er die Geduld, und er stand auf. Da trat zwischen zwei Bäumen eine Gestalt hervor. So
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