0610 - Die Macht der Schlange
Diplomatenpaß. Sein Gepäck war versiegelt und geschützt, und erst in Miami, im Hotel, öffnete er den ersten Koffer.
»Chass sha cheyo sh!« befahl er.
»Sh«, antworteten die Schlangen und wuchsen zu Gestalten mit menschlichem Aussehen heran. Innerhalb weniger Augenblicke füllte sich das Hotelzimmer mit den nackten Leibern.
Sie sprachen jetzt auch nicht mehr wie Schlangen. »Wir erwarten deine Befehle, Sahib.«
Der Commander öffnete den zweiten Koffer.
Er nahm winzige Skulpturen heraus. Die Schlangen, die sich um die geöffneten Totenschädel rankten, sahen aus wie jene, die aus dem ersten Koffer gekrochen waren, um sich dann auf seinen Befehl hin zu verwandeln. Aber in diesen hier wohnte nicht jenes Leben, das die wandelbaren Diener erfüllte. Ihre Magie war noch etwas anders.
»Ich werde euch Kleidung beschaffen«, sagte der Commander.
»Denn so, wie ihr jetzt seid, könnt ihr nicht an die Öffentlichkeit treten. Nicht hier in der westlichen Zivilisation. Und dann werdet ihr ausschwärmen und diese Heiligtümer verschenken. Wie und an wen, das werde ich euch sagen. Habt ihr eure Arbeit getan, kehrt ihr hierher zurück. Die Macht der Schlange wird mit euch sein.«
Keiner von ihnen fragte nach dem Sinn. Sie waren willenlose Sklaven, mehr nicht. Sie taten widerspruchslos, was man ihnen befahl.
Der Commander hatte noch Schwierigkeiten damit, sich an das Aussehen dieser Diener zu gewöhnen. Zu lange hatte er die Vertreter der alten Generation um sich erlebt. Und diese sahen selbst in Schlangengestalt so anders aus, so fremd.
Aber genau das war ja der Sinn der Sache: den Feind zu irritieren und auf eine falsche Spur zu locken.
Den menschlichen ebenso wie den dämonischen Feind…
***
Gegenwart:
Bert Summerfield war ein strohblonder, stämmiger Mann mit dem Gesichtsausdruck eines müden Schafes. Aber er bewies, daß man sich nicht immer auf das Äußere eines Menschen verlassen sollte.
Er war ein angenehmer Plauderer, und er war aufgeschlossen und pochte nicht auf Schulweisheiten. Offen gab er zu, nicht zu wissen, mit welchem Phänomen er und seine Leute es in diesem Fall zu tun hatten.
»Aber Jeronimo hat Sie mir als Experten empfohlen, Zamorra. Dann schießen Sie mal los mit Ihren verwegenen Theorien.«
»Theorien haben wir noch gar keine«, gestand der Dämonenjäger.
»Oder besser gesagt: Die, die wir hatten, sind durch den Kubaner widerlegt worden.«
Kurz darauf standen sie vor dem Toten.
»Wann soll die Obduktion erfolgen?« fragte Zamorra.
»Morgen nachmittag. - Schauen Sie mich nicht so verblüfft an. Wir sind hier nicht so hektisch wie die Kollegen an der Ostküste. Und wir haben auch nicht so viel Personal, auch wenn wir es gern hätten. Aber solange die Kriminalitätsrate hier nicht drastisch ansteigt, bewilligt man uns eben nicht mehr Leute.«
Summerfield grinste.
»Und der Tod dieses Mannes senkt die Verbrechensquote leider schon wieder. Ein Drogendealer weniger in unserer Stadt und unserem County. Unsere Jungs haben nämlich ‘ne Menge Stoff in seiner Wohnung gefunden.«
»Woran ist er gestorben? Doch nicht an dem Schlangenbiß?«
»Sicher nicht«, sagte Summerfield. »Der Coroner vermutet Herzschlag. Der Kubaner…« Er schaute auf das Kärtchen, das am großen Zeh des Toten befestigt war. »… dieser Carlos Martinez muß eine Art Schock erlitten haben. Seine Hand hat sich so um die Bohrmaschine verkrampft, daß sie noch lief, als man ihn fand. Etwas muß ihn gewaltig erschreckt haben.«
»Stellen Sie sich eine Schlange vor«, sagte Zamorra. »Eine, die innerhalb von Sekunden von der Blindschleiche zur Anakonda wird.«
»Muß ich mir so was vorstellen?« brummte Sheriff Summerfield.
»Hört sich nicht gerade sympathisch an, nicht wahr? Und so was gibt’s wirklich?«
»Wir wissen noch nicht, was es genau ist«, warf Tendyke ein.
»Wir sind hier, um es herauszufinden. Gibt es eine Blutprobe von Martinez?«
»Schon möglich. Werden wir feststellen. Was wollen Sie damit?«
Tendyke warf Zamorra einen Blick zu. »Herausfinden, ob es sauber ist«, sagte er.
»Sie vermuten AIDS? Aber…«
»So etwas bestimmt nicht«, wehrte Zamorra ab. »Ich will nur wissen, ob nicht doch Schlangengift zu finden ist. Und noch ein bißchen mehr.«
Noch während er sprach, hatte der Dämonenjäger ganz beiläufig den kleinen Alu-Koffer geöffnet, den er mitgebracht hatte. Er bediente sich vom Inhalt und begann, den Toten weißmagisch zu präparieren.
»Was machen Sie da?« fragte der
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