0614 - Werwolf-Begräbnis
nicht mehr so weich vorkam, denn er preßte meinen Körper von allen vier Seiten zusammen.
Wenn ich in die Höhe schaute, sah ich den dunklen Himmel weit über mir. Blickte ich zur Seite, fielen mir die drei Männer auf, die sich hektisch bewegten. Ich sah ihre Stiefel, einen Teil der Beine und auch die breiten, blanken Schaufelblätter, mit denen sie das Gemisch aus Sand und Lehm aufnahmen, um den Schacht zuzuschütten.
Die meiste Arbeit lag bereits hinter ihnen. Der Sand reichte mir schon bis an die Brust, und er würde in wenigen Minuten meinen Hals erreicht haben.
Schon jetzt hatte ich Mühe mit der Atmung. Der Druck war kaum zu ertragen. Je mehr Zeit verstrich, um so unerträglicher wurde er.
Wenn ich tief Luft holte, hatte es den Anschein, als würde der feine Staub sogar in meine Lungen dringen.
Wie eine Schicht aus Mehl hatte er sich über mein schweißnasses Gesicht gelegt. Ich stellte auch fest, daß die Wirkung der Droge nachgelassen hatte, nur half mir das in diesen Augenblicken nichts mehr. Aus eigener Kraft kam ich aus dem Sand nicht mehr heraus.
Ein Alptraum erfüllte sich. Was ich auf dem Bildschirm gesehen hatte, mußte ich nun grausam am eigenen Leibe erfahren, und die drei Helfer schaufelten weiter.
Sie nahmen die Schippen nicht mehr so voll. Schleuderten mir den restlichen Sand entgegen, der schon bald die Höhe meines Kinns erreicht hatte und nurmehr festgeklopft werden mußte.
Daß dabei der Schaufelrand über mein Kinn strich und eine schmale Wunde hinterließ, interessierte nur mich, nicht die drei Männer, die zurücktraten und aus meinem Blickfeld verschwanden.
Dafür kam eine andere Person.
Raphaela. Sie schlenderte näher. Ich sah ihre Beine, die hoch vor mir aufwuchsen und nicht enden wollten. Sie blieb eine Armlänge vom Loch entfernt stehen und schaute auf mich nieder, die Lippen zu einem Lächeln verzogen.
»Hast du die anderen Köpfe gesehen?« fragte sie mich.
»Nur… nur am Rande. Es ist zu dunkel.«
Sie nickte. »Es waren die Menschen, die gedacht hatten, stärker zu sein als wir.«
»Da kann man wohl nichts machen.«
»Sicher.« Sie wollte nicht mehr aus der großen Höhe auf mich herabschauen und kniete sich deshalb hin. Beide Hände stützte sie auf und spreizte dabei die Finger, um einen besonders guten Halt zu bekommen. So hatte ich sie auch auf dem Bildschirm gesehen. Jetzt fehlte nur noch der Wolf, dann war die Szene komplett.
»Schade!« flüsterte sie und streichelte mich mit einer Hand. »Eigentlich hast du mir ja gefallen, John.«
»Du mir weniger.«
»Sei nicht so abweisend. Du hättest dich anders verhalten müssen, jetzt ist es zu spät.«
Ich verzog den Mund. Nicht freiwillig, denn aus dem Sand war ein Käfer gekrochen und krabbelte über meine Lippen. Essen oder zerknacken wollte ich den nicht gerade.
Raphaela klaubte mir den Käfer von den Lippen und zerdrückte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Die alte Insel muß bewahrt bleiben«, erklärte sie. »Die Magie der Wölfe darf nicht zerstört werden. Das mußt du einsehen.«
Ich sah überhaupt nichts ein, weil ich nur aus dieser verdammten Lage heraus wollte.
Aber wie?
Ich hatte Glenda suchen wollen, sie nicht einmal gesehen und stand jetzt mit einem Bein im Jenseits, denn das Werwolf-Begräbnis würde für mich das Ende bedeuten.
Ein langsames Ende, ein verfluchtes Dahinsiechen, ein Austrocknen, ein Fraß für Geier und Kleintiere. Und ich würde vor Durst schreien, bis ich keine Stimme mehr hatte.
Raphaela grinste mich an. »Hast du dir dein Dahinscheiden jemals so vorgestellt?«
»Bestimmt nicht.«
Sie lachte mich aus, drückte sich wieder hoch und winkte mir zu, wie jemand, der sich mal eben auf dem Bahnsteig verabschieden wollte. Nur galt dieser Gruß nicht mir, sondern einem Wesen, das aus dem finsteren Hintergrund erschien.
Ich sah es nicht, ich vernahm nur das Tappen der. Füße auf dem weichen Boden. Das Echo wurde bis an meine Ohren weitergeleitet.
Den Kopf brauchte ich nicht erst zu drehen, denn ich sah ihn schon sehr bald vor mir erscheinen und erinnerte mich zudem an die Szene, die mir der Bildschirm gezeigt hatte.
Raphaela war etwas zurückgetreten, um der Bestie Freiraum zu schaffen. Sie tappte näher, umkreiste mich einmal, und die mächtigen Füße schleuderten kleine Staubwolken in die Höhe, die auch gegen mein Gesicht wehten und mir das Atmen erschwerten.
Dann nahm der Wolf Platz. Er hockte sich auf seine Hinterläufe, drückte den Schädel vor und schaute mir
Weitere Kostenlose Bücher