0616 - Duell der Vampire
mich auch ganz schön dumm anstellen kann.«
»Ach, das regeln wir schon irgendwie«, behauptete Sue. »Steig ein. Du kannst gleich am Lenkrad bleiben.«
Ausgerechnet ich , dachte Gryf. Mit meinen rudimentären Fahrkünsten und ohne Führerschein…
Aber davon erzählte er den Mädels lieber nichts. Echte Helden sind über solche Kleinigkeiten erhaben.
Und warum sollte er nicht erst mal ein bißchen Spaß mit den beiden munteren Rehlein genießen?
Der Vampir flog ihm schon nicht weg…
***
Tan Morano hatte ein Doppelzimmer in einem der etwas teureren Hotels gemietet. Eine Suite wäre ihm lieber gewesen, aber er wollte nicht zu dick auftragen. Sarkana kannte Moranos Schwächen. Also lieber unauffällig bleiben - soweit das mit einem Rolls-Royce möglich war.
Im Vorbeifahren hatte Morano einen jungen Mann gesehen, und er war überzeugt, daß es sich um Gryf handelte. Der sah nur so jung aus in seinem verwaschenen Jeansanzug, mit dem struppigen Blondschopf und dem stets fröhlichen Lachen eines unbekümmerten Zwanzigjährigen. In Wirklichkeit war der Silbermond-Druide über achttausend Jahre alt!
Morano hatte darauf verzichtet, mit seinen dämonischen Sinnen nach dem Blonden zu tasten, ihn zu sondieren. Wenn es sich wirklich um Gryf ap Llandrysgryf handelte, würde der das sofort bemerken. Aber Morano legte Wert darauf, daß das nicht geschah. Der Druide würde unverzüglich die Jagd auf Morano beginnen. Sie hatten sich vor langer Zeit schon als Feinde gegenübergestanden, und Morano legte auf eine Wiederholung nur dann Wert, wenn er sich selbst im Vorteil befand.
Vielleicht sollte er Sylka vorschicken. Wenn Gryf nicht in der Zwischenzeit zum Frauenfeind geworden war, würde sie sich mit ihm einlassen können. Und über sie konnte Morano dann mehr über seinen alten Feind herausfinden.
Dem Sarkana hier wohl eine Falle gestellt hatte!
Aber wie sah diese Falle aus?
»Schauen wir erst einmal, wie nahe Gryf schon an der Falle dran ist«, murmelte Morano und präparierte Sylka entsprechend. Da sie ihm durch den Vampirkeim, den er mit seinem Biß auf sie übertragen hatte, sowieso zu Willen sein mußte, war es nur um so leichter, sie zu hypnotisieren.
Das einzige Problem blieb jetzt noch, herauszufinden, wo Gryf sich derzeit konkret aufhielt…
***
Fragen nach dem Woher und Wohin. Gryf hatte nichts anderes erwartet, aber die Fragen kamen erst, als sie einen kleinen Bungalow am Strand erreicht hatten. Gryf stoppte den Käfer vor dem Haus.
»Ich bin auf der Suche nach einem Vampir«, sagte er.
Er rechnete damit, daß die beiden Girls ihn auslachten. Vampire gab es schließlich nur im Kino. Danach würden Sue und Carina vielleicht auf weitere Fragen verzichten und annehmen, er wolle sie so auf den Arm nehmen, wie sie es mit ihm probiert hatten. Oder zumindest akzeptieren, daß er nicht gewillt war, in dieser Hinsicht wahre Antworten zu geben. Lüg einmal, und man glaubt dir nie wieder…
Aber Carina wurde sehr ernst.
»Du meinst…?«
In diesem Moment griff er telepathisch nach ihren Gedanken.
Etwas, worauf er üblicherweise gern verzichtete. So verlockend es manchmal sein konnte, die Gedanken anderer Menschen zu kennen, so erschreckend konnte es auch für den Telepathen sein, plötzlich mit den Problemen des Belauschten konfrontiert zu werden, mit all seinen seelischen Abgründen und Ängsten. Deshalb pflegte Gryf im privatem Bereich nicht die Gedanken anderer Menschen zu lesen.
Da war er sich mit anderen Gedankenlesern einig. Die Angst vieler Menschen vor der Gedankenschnüffelei war unbegründet. Wer wollte sich schon freiwillig mit alldem belasten?
In diesem Moment aber ließ Gryf diese Grundregel außer acht. Denn Carinas Reaktion kam ihm doch etwas seltsam vor.
Nur ein paar Sekunden lang griff er zu.
Bilder stürzten auf ihn ein.
Ein junger, dunkelhäutiger Mann. Ein finsteres Gesicht. Zorn. Haß? Ablehnung. Dann der Mann bleich, fast grau. Seltsam vertrocknet wirkend. Verzweiflung, Trauer? Gemischt mit einer seltsamen Form der… Erleichterung? Bedauern. Und der drängende, übermächtige Wunsch, zu vergessen. Dazwischen verwaschene Bilder von Reportern und Kameras mit flackernden Blitzlichtern. Polizisten. Viele Fragen. Keine Antworten. Ein Bild, verzerrt wie eine Comic-Zeichnung: ein Mund, weit aufgerissen, lange, spitze Zähne. Dann wieder der bleiche, tote Mann. Sein Gesicht eine verzerrte Grimasse. Und… der Versuch, das alles zu verdrängen…
Vorbei. Gryf kehrte in die Wirklichkeit
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