0617 - Das Blut der Mumie
etwas, das mir feindlich gesonnen war.
Ich ging auf sie zu, wollte ihr zeigen, daß ich keine Furcht hatte.
Schon nach dem ersten Schritt klang mir ihr warnendes Fauchen entgegen. Jetzt hätte ich eigentlich stehenbleiben müssen, was ich nicht tat und weiterging.
Wieder fauchte sie.
»Na komm schon!« flüsterte ich ihr zu. »So schlimm bist du doch nicht, Kätzchen…«
Von wegen – Kätzchen, sie sprang!
Kraftvoll stieß sie ab und zielte nach meinem Gesicht. Es ging sehr schnell, ich bekam soeben noch meine Hände als Deckung in die Höhe, um sie abzuwehren.
Sie schlug ihre Krallen in meine Jacke hinein, wollte sich festhaken, aber ich schüttelte sie ab. Als sie am Boden lag, erwischte sie mein Tritt. Unglücklicherweise schleuderte er das Tier auf die Luke zu. Es rollte über den Rand, war verschwunden, und ich hörte sie die Stufen hinweg nach unten poltern.
Als ich nachschaute, huschte sie durch den Flur. Auf dem Speicher hatte ich nichts mehr verloren. Nicht so leise wie beim Hinaufgehen kletterte ich die Stufen hinab und hörte trotz der polternden Geräusche das feine Singen.
Auf halber Strecke blieb ich stehen. Kopfschüttelnd rief ich meine Frage nach unten.
»Singst du, Suko?«
»Nein«, vernahm ich seine gepreßte Antwort. »Ich nicht.«
»Wer dann?«
»Die Tote, John…«
***
Entweder drehte Suko durch, oder er hatte recht. Nach seiner Antwort hörte ich nichts mehr von ihm und nahm den Rest der Treppenleiter mit einem Sprung.
Sekunden später hatte ich den Wohnraum erreicht und spürte auf meinem Rücken die Kälte. Sie kroch von oben nach unten und ließ mein Blut allmählich gefrieren.
Was wir sahen, war furchtbar.
Die Tote hockte noch immer im Sessel. Auch steckten nach wie vor die Nadeln in ihrem Kopf, aber ihre für uns normalerweise nicht sichtbaren Spitzen gaben einen Farbschimmer ab, als wären sie kleine Laternen, die im Innern des Kopfes leuchteten und ihn durchsichtig machten.
So konnten wir die Adern erkennen, das Fleisch, aber auch die Knochen. Der Vergleich mit einer schaurigen Röntgenaufnahme lag nicht fern. Hinter den blassen Lippen bewegte sich die Zunge, als die Tote den schaurigen Singsang produzierte.
Wir kannten ihn kaum, trotzdem war er uns nicht unbekannt.
Wenn mich nicht alles täuschte, hatte es diese Art von Gesang schon im alten Ägypten gegeben, das wir im Zuge unserer Zeitreisen ebenfalls kennengelernt hatten.
»Wieso?« flüsterte ich.
Suko schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Es fing plötzlich an. Ich habe mich auch erschreckt.«
»Lebt sie denn?«
»Nein, kein Herzschlag.«
»Ein Zombie?«
Suko hob die Schultern. »Nicht so wie wir ihn kennen, John, das glaube ich einfach nicht. Diese Frau steht unter einem völlig anderen und fremden Einfluß.«
»Die Nadeln«, murmelte ich. »Es muß, verdammt noch mal, mit den Nadeln zu tun haben.«
»Das ist durchaus möglich.«
»Was hast du gesehen?«
»Die schwarze Katze der Mumie. Sie, die Nadeln und die Tote bilden ein Dreieck, stehen in Verbindung, davon bin ich überzeugt. Wir müssen nur herausfinden…«
»Psst…«
Suko hatte nicht umsonst gesprochen, denn der Singsang war verstummt. Vor uns saß die stumme Tote mit halb geöffnetem Mund.
Ihre Haut hatte durch das innere Leuchten eine andere Farbe bekommen, einen Stich ins Violette. Die Knochen, die Sehnen und das Fleisch hinter der Haut wirkten so, als wäre es schon verfault.
Allerdings bewegten sich die Augen nicht, und auch die Blutkrusten bröselten nicht ab.
Sekunden verstrichen. Beide wußten wir genau, daß es weitergehen würde, nur mußten wir der Toten den Zeitpunkt überlassen.
Plötzlich bewegten sich ihre Kieferhälften, aber auch die Zunge blieb nicht ruhig. Für uns ein Zeichen, daß gleich etwas passieren mußte.
Sie redete.
Es waren Worte, die ungewöhnlich klangen. Auch vom Thema, aber akustisch ebenfalls. So als würde sich in ihrem Rachen ein altes Mikrofon befinden, das jedes gesprochene Wort mit einem heiseren Kratzen begleitete. Beide mußten wir sehr genau zuhören, um die Person verstehen zu können.
Was diese Person sagte, riß uns fast von den Beinen, denn sie sprach von versunkenen Kulturen, von dem alten Ägypten und von einem Kontinent, mit dem wir oft zu tun hatten.
»Bei allen Völkern ist die Erinnerung an ein großes Paradies lebendig, an ein ursprüngliches Eden. Viele Völker glauben, daß die Urahnen von dort kamen und daß die Pforten dieses Landes von Engeln mit flammenden
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