0617 - Das Blut der Mumie
worden, der meine Schritte stark dämpfte. So sollte es auch sein. Wer immer sich dort oben versteckt hielt, er sollte mich so spät wie möglich hören. Das Geräusch wiederholte sich nicht.
Hatte ich mich getäuscht?
Am Ende der Treppe blieb ich stehen. Vor mir breitete sich ein viereckiger Flur aus. Für die alten, englischen Häuser war er ziemlich groß. Drei Türen führten ab, und zum Dach mußte man über eine ausgefahrene Leiter gehen.
Die interessierte mich besonders. Sie endete an einer Luke, deren Umrisse in der Dunkelheit verschwammen. Ich leuchtete zunächst mit der kleinen Lampe die Ränder ab und strahlte dann in die Lukenmitte hinein.
Der Strahl zeichnete einen Kreis auf Gebälk und Dachpfannen.
»Hast du was entdecken können, John?«
»Nein, noch nicht. Ich werde gleich bis unter das Dach gehen, vielleicht finde ich dort die Lösung.«
»Welche denn?«
»Warte es ab.«
Die Sprossen der Holzstiege waren so stabil, daß sie mein Gewicht aushielten. Leise konnte ich mich auf ihnen nicht bewegen. Ohne Schwierigkeiten erreichte ich das Ende der Treppe, blieb dort abwartend stehen und schaute über den Lukenrand hinweg.
Meine rechte Hand befand sich nicht weit vom Griff der Beretta entfernt. Durch schräge Fenster sickerte das graue Tageslicht in den Raum und verteilte sich dort wie ein Schleier.
Dieser Speicher hatte als Abstellkammer gedient. Alles, was ausrangiert worden war, hatte hier seinen Platz gefunden: Die alte Kommode, der aufgerollte Teppich, der fahrbare Kleiderständer, an dem noch Kleider, Blusen und Röcke hingen, die man nicht einmal auf dem Flohmarkt verkaufen konnte.
Staub lag in der Luft. Mich machte er mißtrauisch, denn es kam mir vor, als wäre er vor kurzem erst aufgewirbelt worden. Überall flirrten die Partikel, ich hatte Mühe, einen Niesreiz zu unterdrücken und überwand auch den letzten Teil der Strecke.
Vor der Luke blieb ich geduckt hocken. Ein schneller Rundblick und die Frage, ob sich hier trotzdem jemand von mir unbeobachtet verstecken konnte.
Links von mir befand sich eine düstere Insel. Dort geriet kein Licht hin. Ich ging in die Richtung, schaute zu Boden – und sah die Abdrücke, die sich in der Schicht abzeichneten.
Keine Abdrücke von Schuhen. Diese hier waren viel kleiner und besaßen auch eine andere Form.
Ich kannte sie, hatte sie schon öfter gesehen. Sie wirkten stumpf, halbrund waren sie, mit kleinen Punkten versehen. Diese Abdrücke hinterließen Katzen.
Durch die Nase holte ich Luft. Wieder kitzelte der Staub, ich mußte niesen.
Es wurde eine Explosion, und ich verfolgte die Spuren, die in der düsteren Ecke endeten.
Mit der Lampe leuchtete ich hinein und fand sie leer. Also wieder ein Schuß in den Ofen.
Aber das Tier war hiergewesen. Diese Abdrücke hinterließen nur Katzenpfoten, und mit Katzen hatte der Fall begonnen. Zudem hatte auf der Schulter der Mumie eine Katze gesessen.
Ich war plötzlich davon überzeugt, daß sich die Katze hier auf dem Speicher aufhielt.
Nur nicht dort, wo ich gerade suchte. Beim Umdrehen leuchtete ich in den Speicher hinein – und erwischte mit dem Strahl die am Ständer hängenden Kleidungsstücke.
Sie bewegten sich, als würde ein Luftzug gegen sie wehen. Ein Rock schwang zur Seite, damit die Lücke entstand, aus der die Katze sich hervorschieben konnte.
Sie war es!
Für einen Moment stand ich unbeweglich, denn ich erinnerte mich genau an das Tier auf der Schulter der Mumie. Diese Katze stand jetzt vor mir, leicht angespannt, gleichzeitig einen Buckel bildend, mit knallgelben, kalten Augen.
Sie war größer als eine normale Hauskatze. Auf ihrem Fell gab es wirklich keinen weißen Fleck, selbst der Schwanz wirkte wie ein nach oben stehendes, leicht gebogenes Rohr.
Wir standen uns gegenüber, und ich spürte augenblicklich ihre Feindschaft. In diesen Momenten strömte mir dies tatsächlich entgegen. Ich sah einen Todfeind vor mir.
Sie tat nichts, behielt den Buckel bei, beobachtete mich und öffnete nur ihr Maul, so daß ich in den kleinen rosafarbenen Schlund hineinleuchten konnte.
Weshalb war sie zurückgeblieben?
Meine Gedanken irrten ab. Ich dachte an Nadine, die Wölfin. Auch sie war ein Tier, doch in ihr steckte die Seele eines Menschen. Die Ägypter hatten die Katzen verehrt, sie hatten die Tiere als kleine Gottheiten angesehen. Ich konnte mir vorstellen, daß dieses schwarze Geschöpf vor mir mehr war als nur eine Katze. Sie mußte magisch beeinflußt worden sein, in ihr steckte
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