0617 - Zeit der Ungeheuer
ja kaum etwas zu tun. Ich glaube, mit einem Preßverband wäre es auch gegangen.«
Er glaubte nicht richtig zu hören.
Er besaß zwar erstklassiges Heilfleisch, was wohl mit der Quelle des Lebens zusammenhing. Krankheiten und Verletzungen heilten schneller als bei anderen Menschen - sofern Krankheiten überhaupt erst entstanden. Das Wasser der Quelle, das in seinem und auch Nicoles Körper dauerhaft kreiste, kämpfte sogar gegen Vergiftungen an. Sie gehörten beide zu den ›relativ Unsterblichen‹; nur mit Gewaltanwendung konnten sie getötet werden; durch Mord oder Unfall. Sie alterten auch nicht mehr.
Ob diese Langlebigkeit, vielleicht auch Unsterblichkeit, Fluch oder Segen war, würden erst die nächsten Jahrhunderte und Jahrtausende zeigen. Auf den ersten Blick war es eine unglaubliche Chance, etwas Fantastisches. Nie mehr altern, Jahrtausende lang leben können, wer hätte das nicht gewollt? Aber nichts ist umsonst in dieser Welt. Die Unsterblichkeit, der Status des ›Auserwählten‹, beinhaltete zugleich eine Verpflichtung. Ständig auf der Jagd, ständig im Kampf gegen die Mächte der Finsternis, ständig in der Gefahr, getötet zu werden. Jäger und Gejagter zugleich. Im Endeffekt hatte ein Sterblicher vielleicht mehr von seinem Leben als ein ›Auserwählter‹. Zumindest aber brachte die Unsterblichkeit keine wirklichen Vorteile.
Sterbliche lebten ruhiger und sicherer…
Allein dieses Geschehen war einer der unzähligen Beweise dafür.
Zamorra fragte sich, wieso die Wunde so schnell heilte. Er verstand das nicht. Sein Selbstheilungsvermögen mußte an einer Verletzung dieser Größe und Schwere viel mehr zu arbeiten haben. Schon der Blutverlust bedeutete eine erhebliche Schwächung. Die fühlte er auch durchaus; er war irgendwie müde und schlapp. Jede Bewegung bedeutete erhebliche Anstrengung.
Da war noch etwas anderes im Spiel…
Irgendwie war er schläfrig geworden. Die Betäubung sorgte dafür, daß er so gut wie nichts von der Behandlung merkte, und seine Müdigkeit ließ ihm die Augen zufallen. Aber sein Geist arbeitete nach wie vor. Er entsann sich der Möglichkeit, das Amulett zu rufen. Warum hatte er nicht schon vorher daran gedacht?
Als sie das Haus wieder verließen und ins Auto stiegen, beschloß Zamorra, den Ruf auszusenden. Falls sein anderes Ich in der anderen Zeit gerade auf Merlins Stern angewiesen war, konnte es die magische Silberscheibe ja sofort wieder zurückrufen.
Zamorra hob die Hand und rief.
Und Merlins Stern erschien!
***
Eine alte Frau erschien, als der Morgen dämmerte. Kali, die Heilerin, erinnerte Zamorra sich. Gestern Abend am Feuer hatte Teron ihren Namen und ihre Bezeichnung genannt. Kali tat irgend etwas mit Zamorras verletztem Arm, das er nicht sehen konnte und auch nicht begriff. Aber der Schmerz ließ nach, wie lange vorher schon die Blutung aufgehört hatte.
Was recht erstaunlich schien, so tief, wie das Fleisch aufgerissen worden war.
Im morgendlichen Zwielicht sah Zamorra, daß die Wunde sich schon beinahe wieder geschlossen hatte, als Kali gegangen war. Ohne ein Wort zu sprechen, hatte sie sich seiner angenommen. Währenddessen hatte ein Mann mit einer Streitaxt in der Faust hinter ihr gestanden, wachsam und mißtrauisch. Zamorra ahnte, daß der Mann keine Sekunde lang gezögert hätte, zuzuschlagen, wenn etwas nicht so verlaufen wäre, wie er sich das vorstellte.
Die Fesseln hielten nach wie vor.
Zamorra hatte es inzwischen aufgegeben, noch einmal nach dem Amulett zu rufen. Ais es verschwand, hatte er den Ruf wenigstens ein Dutzendmal wiederholt. Aber Merlins Stern reagierte einfach nicht mehr darauf. Es war gerade so, als existiere das Amulett nicht mehr.
Aber Zamorra hatte das Gefühl, daß er trotzdem über dieses magische Werkzeug verfügen konnte - irgendwie.
Daß es nicht verloren war.
Hunger und Durst machten sich bemerkbar. Aber als Teron sich zeigte, ging er nicht darauf ein.
»Wir gehen von hier fort«, sagte er.
»Dann binde uns los«, verlangte Zamorra.
»Nein«, sagte der Älteste. »Ihr habt das Unheil angezogen. Ihr werdet es auch weiterhin anziehen. Deshalb bleibt ihr hier, während wir gehen. Es gibt andere Jagdgründe, in denen wir leben können, mit anderen schützenden Höhlen.«
»Binde uns los«, wiederholte Zamorra. »Dann können wir gegen die Ungeheuer kämpfen, wenn sie zurückkommen.«
»Nein«, sagte Teron. »Ihr sollt nicht versuchen, uns zu folgen.«
»Was sagt Bran?« warf Nicole ein. »Hat er euch eine
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