062 - Schiff der verlorenen Seelen
Einige sahen wie Menschenköpfe aus. Sie brüllten wie Tiere, als ich die Blüten abschnitt und untersuchte. Ich braute immer neue Mischungen meines Elixiers, und die Alraunen entwickelten sich weiter. Ich setzte neue Samen ein, begoß sie, und dann stellte ich fest, daß die Wurzeln zu wachsen begannen. Einige wurden so groß wie ein Säugling. Und sie hatten Menschengestalt. Sie sahen zwar wie Mißgeburten aus, und sie verhielten sich seltsam, schienen auf eigenartige Weise zu leben und sich zu bewegen. Ich mußte sie verbrennen. Doch ich ließ nicht locker. Und vor einem Jahr hatte ich den ersten großen Erfolg mit einer Alraunenwurzel. Ich holte sie aus dem Boden, tat sie in ein große Gefäß und füllte es mit dem Lebenselixier an. Die Alraune wuchs immer mehr. Der Körper war verkrüppelt, aber der Kopf entwickelte sich gut. Die Wurzel bekam Augen und einen Mund. Ich holte sie aus dem Behälter heraus. Sie konnte gehen. Einige wenige Schritte nur, aber immerhin. Bedauerlicherweise hatte dieses Geschöpf drei Beine und vier Arme. Es konnte Laute bilden, aber es lebte nicht lange. Es schrumpfte nach einigen Tagen ein und starb. Ich machte weiter."
Arbues holte eine neue Weinkaraffe und schenkte die Gläser voll.
„Ich wußte, daß irgend etwas dem Lebenselixier zugesetzt werden mußte. Aber was? Ich überlegte lange, und dann fand ich die Lösung. Ich benötigte Blut. Das, war es, was mir fehlte. Und ich brauchte kein Tierblut, sondern Menschenblut. Nun, das war einfach zu beschaffen. Ich holte ein paar Indianer in mein Haus, sperrte sie im Keller ein und zapfte ihnen Blut ab, das ich dem Lebenselixier beimischte. Wieder widmete ich mich den Alraunenwurzeln. Ich hatte mehr als zwanzig in meinen Garten gesetzt. Jede behandelte ich mit Lebenselixier. Über jeden Versuch machte ich genaue Aufzeichnungen. Rasch stellte ich fest, daß die Alraunenwurzeln am besten wuchsen, die besonders viel Blut erhielten. Ich konzentrierte mich auf drei Wurzeln. Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis sich die gewünschten Ergebnisse einstellten. Zwei der drei Alraunenwurzeln wuchsen zu Mißgestalten heran. Sie waren grauenhaft anzusehen. Teuflische Fratzen, verunstaltete Körper, die über und über mit scheußlichen Geschwüren bedeckt waren. Aber die dritte Wurzel entwickelte sich so, wie ich es nicht einmal in meinen kühnsten Träumen erwartet hatte. Sie entwickelte sich zu einem Mädchen."
Unwillkürlich warf ich der Truhe einen Blick zu, in der das Mädchen schlief. Mein Mund wurde trocken. Wollte Arbues vielleicht behaupten, daß das Mädchen aus einer Alraunenwurzel entstanden war? Das war unfaßbar, einfach unglaublich.
Arbues lachte. „Ich kann mir deine Gedanken vorstellen, Georg. Hör mir weiter zu! Die Alraune entwickelte sich immer mehr. Sie wurde einen Meter groß. Deutlich waren die Arme zu erkennen. Ein Hals mit einem faustgroßen Kopf hatte sich gebildet, der glatt wie eine Kartoffel war. Dann teilte sich langsam der Rumpf der Wurzel, und zwei Beine entstanden. Das Mädchen war noch immer nur entfernt menschenähnlich. Doch da machte ich eine Entdeckung, die mir sehr weiterhalf." „Und die war?" fragte ich aufgeregt.
„Ich stellte fest, daß die Alraune sich mir anpassen wollte. Deshalb sperrte ich die Wurzel mit einem jungen Mädchen zusammen in ein Zimmer. Die Alraune rieb ich täglich mit meinem Lebenselixier ein, das viel Blut des jungen Mädchens enthielt. Und nach einigen Tagen stellte sich der Erfolg ein. Die Alraune nahm die Gestalt des jungen Mädchens an. Das Gesicht wurde menschenähnlich. Deutlich waren die Nase und der Mund zu erkennen. Zwei Tage später hatten sich die Ohren gebildet und eine Woche später die Augen. Und langsam veränderte sich auch der Körper. Er war nicht mehr so plump. Die Schultern und Hüften rundeten sich. Nur das Gesicht war noch immer unfertig. Einige Wochen später hatte die Alraune den Körper einer reifen Frau, große, üppige Brüste und herrliche Beine. Die Farbe ihres Körpers änderte sich ebenfalls. Anfangs war sie schmutzigbraun gewesen. Doch nach und nach wurde der Körper heller und nahm die Farbe polierten Elfenbeins an.
Dann bildete sich der Nabel, und der Bauch rundete sich. Aus ihren Brüsten wuchsen große Brustwarzen, die rosig schimmerten. Nie zuvor hatte ich einen schöneren Frauenleib gesehen. Ich blieb tagelang bei ihr und lehrte sie, zu sprechen. Es ging unendlich langsam, doch dann kam der Zeitpunkt, da sie einige Wörter sprechen konnte. Sie
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