062 - Schiff der verlorenen Seelen
Erste Offizier an mich.
Ich warf meinem Degen, den Calvo an sich nahm, einen flüchtigen Blick zu.
Drei Matrosen betraten die Kajüte. Es waren grimmige Gesellen, die schwere Entermesser in den Fäusten hielten.
„Sebastian und Ramon", sagte der Erste Offizier befehlend, „ihr stellt euch neben die beiden. Wenn sie auch nur die geringste verdächtige Bewegung tun, dann schlagt sie nieder."
Die beiden angesprochenen Matrosen nickten, kamen auf uns zu, stellten sich mit erhobenen Entermessern neben uns und ließen uns nicht aus den Augen.
Arbues zitterte vor Wut. „Laßt meine Pflanzen in Ruhe!" keuchte er.
„Ihr habt ja keine Ahnung, was für Schätze das sind."
„Sie sind an der Seuche schuld", sagte Calvo. Er rief zwei weitere Matrosen in die Kabine. „Bringt die Pflanzen an Bord und werft sie ins Meer!"
Die Matrosen näherten sich scheu den in Leinen eingewickelten Pflanzen und Sträuchern.
Ich sah, daß in Arbues' Augen Tränen hingen. Er wollte sich auf die Männer stürzen, da schlug der Matrose, der ihn bewachte, zu. Er schlug ihm mit der Flachseite des Entermessers über die Stirn, und Arbues brach bewußtlos zusammen.
Immer mehr Pflanzen wurden aus der Kabine getragen. Einige Minuten später waren keine mehr zu sehen.
„Öffnet die Truhen und Kisten!" befahl Calvo. „Und dann durchsucht Speyers Kabine!"
Arbues war noch immer ohnmächtig. Die Matrosen rissen brutal die Kisten auf und durchsuchten sie. Kleidungsstücke kamen zum Vorschein, die einfach zu Boden geworfen wurden. In einigen Truhen fanden sie getrocknete Wurzeln, gepreßte Blütenblätter, Tiegel, Knollen und geheimnisvolle Tinkturen. Alles wurde aus der Kabine geschafft. Ich hielt unwillkürlich den Atem an, als zwei Matrosen sich der großen Seekiste näherten, in der das Mädchen lag. Sie hoben den Deckel hoch und griffen nach den Kleidungsstücken.
Arbues bewegte sich unruhig. Er schlug die Augen auf und stöhnte. Mit beiden Händen griff er nach seiner blutverschmierten Stirn. Seine Augen weiteten sich, als er sah, daß die Matrosen immer mehr Kleidungsstücke zu Boden schleuderten. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, dann mußten sie das Mädchen entdecken.
„Das wird Euch teuer zu stehen kommen, Calvo", keuchte Arbues und stand auf.
Er lehnte sich gegen die Wand.
Ich ließ die beiden Matrosen nicht aus den Augen. Zu meiner größten Überraschung traten sie plötzlich einen Schritt zurück. Sie mußten das Mädchen gesehen haben, doch sie sagten nichts. Einer der Männer ließ den Deckel fallen.
Ich starrte Arbues an. Seine Hände zitterten. Schweiß rann über sein Gesicht und fing sich in seinem wildwuchernden Vollbart.
„Wir sind fertig", sagte einer der Matrosen.
Der Erste Offizier nickte, dann wandte er sich uns zu. „Auf Befehl des Kapitäns dürft Ihr vorerst die Kajüte nicht verlassen. Das Essen wird Euch gebracht. Zwei Männer halten vor der Kajüte Wache. Habt Ihr mich verstanden?"
„Ja, ich habe Euch verstanden", knurrte Arbues. „Es wird Euch teuer zu stehen kommen, das schwöre ich. Sagt dem Kapitän, daß ich gegen diese Behandlung protestiere und mich beschweren werde. Ich will mit ihm sprechen."
Calvo grinste spöttisch und verbeugte sich leicht.
„Ich werde es dem Kapitän bestellen", sagte er. „Ihr habt doch nichts dagegen, daß ich Eure Waffen an mich nehme?"
Wir gaben ihm keine Antwort.
Er verbeugte sich nochmals. Kichernd schloß er die Tür, und wir hörten seine Schritte, die sich langsam entfernten.
In der Kajüte wurde es langsam hell.
„Die Früchte von drei Jahren harter Arbeit sind vernichtet", sagte Arbues. „All meine Pflanzen, meine Knollen und Blüten schwimmen jetzt im Meer." Er ballte die Hände zu Fäusten. „Ich werde mich rächen, fürchterlich rächen. Dieses Schiff soll verflucht sein. Alle werden sterben. Alle."
So hatte ich Arbues noch nie gesehen. Er war zwar manchmal aufbrausend gewesen, aber sonst ein herzensguter Mensch, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.
„Diese Narren", flüsterte er. „Meine Pflanzen hätten die Welt verändert. Doch es ist noch nicht zu spät. Ich werde nach Spanien fahren und meine Experimente fortsetzen.“
Er stürzte zur Truhe, in der das Mädchen lag, öffnete sie, hob den Deckel und warf einen Blick hinein.
„Sie schläft", sagte er leise.
„Die Matrosen hörten plötzlich mit dem Durchsuchen dieser Kiste auf. Weshalb?" fragte ich.
Arbues kicherte.
„Das ist ein besonderes Mädchen", sagte er.
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