0627 - Nadine und die Mörderwölfe
etwas erkennen oder wahrnehmen zu können. Jeden Augenblick rechnete er damit, daß die Tür aufgerissen und er aus dem Fahrzeug gezerrt wurde oder daß man ihn im Auto überfiel und tötete.
Tatsächlich bekam das Fahrzeug einen harten Schlag. Am Kotflügel hatte es den Wagen erwischt. Er geriet ins Schaukeln. Johnny machte die Bewegung mit, mit der freien Hand klammerte er sich fest und vereiste innerlich.
Die nächsten Sekunden wurden für ihn zu einer Hölle aus Qual und Pein. Wann würde der oder die Unbekannte die Tür aufreißen und sich auf ihn stürzen?
Das geschah nicht.
Der Junge saß da, lauschte, wartete, hörte abermals ein gefährlich klingendes Knurren, dann ein Schleifen und danach das leise, auf-und abschwellende Heulen.
Danach war es still, sehr still sogar. Er hätte an sich aufatmen können, was Johnny nicht tat, denn der Druck auf seiner Brust wollte einfach nicht weichen.
Er hörte sich selbst heftig und laut atmen. Es waren die einzigen Geräusche, ansonsten stand das Fahrzeug auf einer Insel der Stille.
Allmählich entspannte er sich wieder, schaute durch die Frontscheibe, ohne die düstere Umgebung direkt wahrzunehmen. Nur allmählich schälten sich die Konturen der noch kahlen Äste hervor. Sie wirkten wie ein Gemälde, das jemand einfach in die Gegend gestellt hatte.
Dann hörte er Schritte.
Johnny nahm sie zwar wahr, doch er hatte seinen inneren Abwehrmechanismus eingeschaltet und kümmerte sich nicht weiter darum. Er wollte nicht, daß jemand kam, ihn mitnahm und etwas Furchtbares mit ihm anstellte.
Neben der Fahrerseite verstummten die Schritte. Er schielte nach links, wo der Schatten einer Gestalt hochwuchs. Ein Arm bewegte sich, tastete nach dem Türgriff und öffnete den Wagenschlag.
Morgana Layton stieg ein.
Johnny unterdrückte einen Schrei, der schon in ihm hochgestiegen war. Er schaute auf die Frau, die mit nervösen Bewegungen ihr Haar zurückstrich, knapp lächelte, ihm ansonsten aber keinen Blick zuwarf und sich auch nicht um seine Handschelle kümmerte.
Sie blieb steif hocken, den Kopf gegen die Nackenstütze gelehnt, nach vorn schauend und sprach auch nicht.
Johnny traute sich ebenfalls nicht, die Person anzusprechen. Er blieb reglos hocken und beobachtete, wie die Hände der Frau den Kreis des Lenkrads nachzeichneten, den Rand der Handschellen erwischten und dort verharrten.
Johnny schaute auf die Hand.
In der nächtlichen Finsternis wäre es ihm wohl kaum aufgefallen, in diesem grauen Schein jedoch bekam er mit, daß sich die Hand verändert hatte.
Sie war dunkler geworden…
Das irritierte Johnny, denn für ihn sah es so aus, als würde ein Schatten auf ihr liegen.
»Was ist denn?«
»Nichts.«
Morgana lachte. »Doch, Johnny, du hast etwas. Du starrst so auf meine Hand.«
»Tue ich das?«
»Sicher.«
»Ich… ich weiß nicht. Es ist bestimmt eine Täuschung. Ich habe mit Ihrer Hand nichts zu tun.«
Morgana holte den Schlüssel hervor und löste die Handschelle.
Der Junge atmete auf. Irgendwie fühlte er sich befreiter und rieb seinen Knöchel, während Morgana ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte. »Da, du kannst fühlen.«
Johnny zögerte. Der Schatten war geblieben. Er drängte die Furcht in ihm hoch.
»Na los, Junge…«
Da überwand er sich. Kaum hatte er die Fläche berührt, zuckte er zusammen.
Wie Samt hatte sich die Haut angefühlt. Weich, flaumig…
»Nun?«
Johnny gab keine Antwort. Er streifte seine Hand gegen den Strich und stellte fest, daß sich die feinen Härchen aufrichteten. Jetzt wußte er Bescheid.
»Fell!« flüsterte er, »das ist ja… das ist ja Fell.«
»Genau!«
Johnny schluckte und zog seine Hand so hastig zurück, als hätte er sich die Haut verbrannt. Ihm schossen viele Vermutungen durch den Kopf. Allerdings wagte er nicht, auch nur eine von ihnen auszusprechen. Er wollte es auch nicht wissen.
»Hast du das Fell gefühlt, Junge?«
»Ja…«
»Weißt du Bescheid?«
Jetzt mußte er eine Antwort geben, obwohl er es nicht wollte.
»Wahrscheinlich«, flüsterte er mit Zitterstimme.
»Schön und was glaubst du?«
»Du… du bist eine von ihnen, nicht wahr? Du gehörst zu den schlimmen Geschöpfen.«
»Welche meinst du denn damit?«
»Die Wölfe, die Werwölfe.«
Morgana Layton mußte wieder lachen. »Ja, mein Junge, das stimmt. Du hast es erfaßt. Ich gehöre zu ihnen. Ich bin eine von ihnen, und ich war draußen, um zu regenerieren.«
Über Johnnys Körper rann ein Schauer. »Ich hörte es, ich habe
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