0627 - Nadine und die Mörderwölfe
Sie nicht zuerst hören, wo wir die beiden Leichen gefunden haben?«
»Natürlich.«
»In einem Steinbruch. Der Mann ist ein Arbeiter gewesen. Sein Kollege war weggefahren, um die Polizei zu alarmieren, da sie beide die Tote kurz zuvor entdeckt hatten.« Wir erfuhren noch einige Einzelheiten und auch darüber, daß der Doc gemeint hatte, jemand hätte auf den Mann ein Raubtier losgelassen.
»Aber daran glauben Sie nicht, wie?« fragte Clyder.
»Nein.«
»Konnte ich mir denken. Sie haben den Spezialjob. Was sagt der Spezialist dazu?«
»Ich tippe auf Werwolf!« meinte Suko.
Clyder enthielt sich einer Meinung. Er bat uns statt dessen, ihm zu folgen.
Wir hätten den Lift nehmen können, gingen jedoch über die Treppe in den Keller, wo eine Atmosphäre vorherrschte, die ich nicht mochte.
Sie war in diesen Häusern überall gleich, und sie kam mir vor, als würde man den Tod direkt greifen oder anfassen können.
Schattenloses Licht, die kahlen Wände, ein Stück grausamer Ewigkeit. Dazwischen dudelte ein Radio, und jemand sang einen alten Schlager mit. Ich hätte dem Mann am liebsten den Hals umgedreht, denn meine Gedanken drehten sich einzig und allein um das Thema Nadine.
Ich stellte mir schon jetzt vor oder versuchte mir vorzustellen, wie es sein würde, wenn ich vor ihr stand, in ihr Leichengesicht schaute und mich die verdammten Erinnerungen überwältigen würden.
Ich hatte es geschafft und die Magie des Alterungsprozesses ablösen können.
Nicht Nadine, sie war an ihrer eigenen Hilfsbereitschaft mir gegenüber gestorben.
Ohne daß ich es merkte, ballte ich die Hände zu Fäusten. Hätte mir in diesen Momenten jemand einen Spiegel vor das Gesicht gehalten, ich hätte darin einen Fremden gesehen, so alt, so grau und so verändert kam ich mir vor.
Die Schritte gaben auf dem nackten Boden Echos ab, die über die kahlen Wände geisterten. Noch immer saß der Klumpen in meinem Magen. Wenn ich Luft holte, kam es mir vor, als würde der Atemzug auf der Hälfte des Weges steckenbleiben.
Vor einer Tür stoppte Julius Clyder.
»Ich darf öffnen?« fragte er und drückte sie gleichzeitig auf.
Kälte schlug uns entgegen, dazu der Geruch nach Desinfektionsmitteln, und wir schauten auch in die Gesichter der hier arbeitenden Männer in grauen Kitteln.
Ärzte, Helfer und Leichenwäscher. Was hier unten versammelt war, hatte sämtliche Illusionen verloren.
Clyder begrüßte einen älteren Mann, der gelassen seine Pfeife rauchte.
»Das ist Doc Smarek. Er wird die beiden Toten untersuchen.«
Der Arzt hob kurz die Hand. In seinem osteuropäisch gefärbten Dialekt sprach er uns an. »Ich habe die Neuen noch nicht untersucht. Nur flüchtig.«
Die Neuen hatte er gesagt. Mein Gott, so konnte man auch nur sprechen, wenn man hier lange angestellt war.
Ihm gefiel wohl mein starres Gesicht nicht, und er fragte: »Haben Sie Probleme, Sinclair?«
»Zeigen Sie uns die Toten.«
»Wie Sie wollen.«
Zu viert gingen wir los. Der Doc öffnete eine Schiebetür. Ich schaute zu Boden, wollte nicht hinsehen, aber es führte einfach kein Weg daran vorbei.
Beide Leichen lagen auf einem wannenartig geformten Kunststofftisch. Die übrige Einrichtung dieses Raumes interessierte mich nicht, ich hatte nur Augen für die reglosen Personen und merkte, daß sich in meinem Innern abermals etwas veränderte.
Der Magendruck nahm noch weiter zu. Es kostete mich Überwindung, vor der männlichen Leiche stehenzubleiben, mir deren Verletzungen anzusehen und den Kommentaren zu lauschen.
»Es sieht aus, als wäre sie von einem Tier angefallen worden.«
»Sinclair denkt anders darüber, Doc.«
»Wie denn?«
»Ein Werwolf…«
Der Arzt räusperte sich nur. »Na ja, das ist seine Meinung. Ich kann ihm nicht widersprechen, weil ich die Untersuchung nicht einmal begonnen habe. Sie sehen ja, beide Toten tragen noch ihre Kleidung, in der sie gefunden wurden.«
»Die Wunde sieht tatsächlich so aus, als stammte sie von Werwolf klauen«, flüsterte mir Suko zu.
»Morgana Layton.«
»Was sagten Sie, Sinclair?«
»Nichts, Mr. Clyder, gar nichts.«
Mir tat der Mann leid, aber noch schlimmer war das Gefühl, das mich überkam, als ich an Nadine dachte. Plötzlich wollte ich keinen anderen mehr sehen. Sie sollten gehen, die Kollegen und auch Suko.
»Ich möchte allein sein!« flüsterte ich.
Mein Freund hatte es begriffen. Er erklärte es Clyder und dem Arzt.
Der Doc widersprach. »Das ist nicht üblich.«
»Und mir ist es in diesem Fall
Weitere Kostenlose Bücher