0627 - Nadine und die Mörderwölfe
neben mir und lauschte dem Klang der Sirene auf dem Dach.
Sie wurde durch einen Magneten gehalten.
Viele Wochenendausflügler machten nur widerwillig Platz, so daß ich mehr als einmal gezwungen war, über Gehsteige zu fahren, natürlich nur, wenn ich keinen Menschen dabei gefährdete.
Noch immer dachte ich an die Bilder, die uns gefaxt worden waren. Aufnahmen von zwei Toten. Einem Mann und einer Frau.
Den Mann kannte ich nicht, die Frau allerdings war mir bekannt.
Nadine Berger!
Wie es in meinem Inneren aussah, kann sich jeder vorstellen. Da drehten sich die Eingeweide im Kreis. Ein völliges Durcheinander herrschte vor, ich war eigentlich nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sah so das Ende der Nadine Berger aus? Hatte sie das nach all den Jahren als Wölfin verdient?
Nein und abermals nein! Nur konnte ich die Tatsachen nicht wegleugnen. Die Frau auf dem Foto war die Nadine, so wie ich sie in Erinnerung hatte – und nicht einmal gealtert.
Meinetwegen hatte sie sich geopfert, war in das Maul des Riesen nach Avalon gelangt, um dort ihre normale menschliche Gestalt wiederzuerlangen.
Was war der Preis dafür gewesen? Der Tod, grausam und so verflucht endgültig.
Was hatte ich falsch gemacht? Was war überhaupt falsch gelaufen bei diesen Vorgängen?
Ich hatte keine Ahnung, ich wußte überhaupt nichts. Nicht einmal eine Hypothese war mir in den Sinn gekommen. Für mich existierte kein Grund.
Der Rover fuhr normal, nur kam er mir vor, als hätte er den Kontakt zur Fahrbahn verloren.
Ich schwebte über allem, wollte einfach wegfliegen und den Problemen entgehen.
»Achtung, John!«
Suko warnte mich. Ich stieg auf die Bremse, die Rückfront eines Busses wuchs bedrohlich hoch, doch der Rover kam früh genug zum Stehen. Tief atmeten wir beide durch.
»Soll ich nicht lieber fahren?«
»Okay, Suko.«
Wir wechselten die Plätze. Es ist manchmal besser, nicht den Superman spielen zu wollen, sondern auf Nummer Sicher zu gehen. So etwas konnte helfen, Unfälle zu vermeiden und Leben zu retten.
Mein Freund kannte die Strecke ebenfalls. Die beiden Leichen waren noch nicht dem Yard übergeben worden. Die lagen in einem Schauhaus im Süden von London.
Mehr wußten wir nicht. Nicht, wo die Toten gefunden worden waren und wer sie auf dem Gewissen hatte.
Der Mann sah fürchterlich aus, als wäre ein Raubtier über ihn hergefallen. Ich konnte mir denken, daß er mit den Krallen eines Werwolfs Bekanntschaft gemacht hatte und wußte auch, daß Morgana Layton auf nichts und niemand Rücksicht nahm.
Aber wie war Nadine Berger umgebracht worden? Ich hatte mir die Aufnahmen sehr oft angeschaut und auch unter der Lupe keine Verletzungen feststellen können.
Ein Rätsel…
Suko tat, was er konnte. Dennoch verging Zeit. Zwischendurch telefonierte ich mit Sir James Powell, der am Samstag ebenso im Büro war wie Glenda, die noch einiges aufzuarbeiten gehabt hatte.
Der Superintendent hatte seine Pläne über den Haufen geworfen und sich den Tag für uns freigehalten. Auch er konnte sich keinen Grund für den plötzlichen Tod der Nadine vorstellen.
»Wie ist es mit Bill? Willst du ihn nicht anrufen?«
Ich lehnte den Kopf zurück und schloß sekundenlang die Augen.
Wir hatten den Reporter nicht informiert, natürlich daran gedacht, dann allerdings Abstand davon genommen.
Beide wußten wir, wie die Conollys an der Wölfin gehangen hatten, diesen Schock wollen wir ihnen vorerst ersparen, bis wir genau Bescheid wußten.
»Nein, Suko, es bleibt dabei.«
Ich dachte natürlich auch an mein Patenkind. Mit Bill hatte ich ausgemacht, keine Fahndung nach Johnny anlaufen zu lassen. Wir wollten kein Aufsehen erregen.
Minuten später hatten wir endlich das Ziel erreicht. Die letzten Sirenenklänge echoten von der glatten Betonfassade des Leichenschauhauses ab, zu dessen Eingang eine breite Treppe hochführte, die ich mit langen Schritten nahm.
Ich rammte die Eingangstür auf, schaute mich um und sah, daß sich ein Mann aus einem schmalen Sessel erhob.
Ich kannte ihn, er war Chief einer Mordkommission und hieß Julius Clyder.
»Hallo, Sinclair.«
»Ich grüße Sie, Clyder.«
Der Chief reichte mir seine schwielige Hand. Er war ein Mann im mittleren Alter mit einem traurigen Gesicht und einer dicken Oberlippe, die weit vorstand.
Auch Suko stand jetzt neben mir und hörte meine Frage ebenfalls.
»Wo kann ich die Tote sehen?«
Clyder strich über sein graues, exakt gescheiteltes Haar. »Nicht so eilig, Kollege. Wollen
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