0629 - Attacke der Werwölfe
geschwächten Zustand dorthin kommen?
Die Schulterwunde brodelte und eiterte. Bei manchen seiner Bewegungen quoll es schwärzlich daraus hervor. Wenn nicht bald etwas Entscheidendes geschah, würde er nicht mehr lange leben.
Er mußte etwas tun.
Er mußte töten.
Das war es, was er zum Überleben brauchte.
***
Während Zamorra den Mercedes über eine ziemlich schmale, holperige Straße lenkte und hoffte, keinem Gegenverkehr zu begegnen, dachte er an die Wölfe von Exeter. Gab es sie überhaupt? Und wenn ja, war das Rudel wirklich so groß, oder war es nur durch die ›stille Post‹ von Grissom über Cordona zu Zamorra immer größer geredet worden? Schon während der Fahrt nach Exeter hatte er darüber nachgedacht. Werwölfe waren wie Vampire normalerweise Einzelgänger. Selbst in Millionenstädten wie New York, Tokio oder Rom gab es selten einmal mehr als vier oder fünf von ihnen zugleich. Ihre Reviere waren einfach zu groß. Wenn sie töteten, durfte das nicht übermäßig auffallen, nicht aus der normalen Verbrechensstatistik herausragen. Eine größere Horde brauchte mehr Beute, mehr Opfer. Gerade in einer Stadt wie Exeter mußte das auffallen.
War es aber nicht. Selbst Brendon war ahnungslos. Dabei waren gerade Wirte und Frisöre für gewöhnlich die bestinformierten Menschen, was ihre nähere Umgebung betraf.
Auf jeden Fall mußte er sich in Exeter umsehen, das war klar. Und es konnte sein, daß gerade jetzt Menschen getötet wurden, die er vielleicht hätte retten können, wenn er nicht jetzt hinter Antony Grissom her wäre. Es war ein Konflikt, der ihm zu schaffen machte.
Aber wenn er Grissom fand - ihn lebend fand -, konnte dieser ihm freiwillig oder nicht Wissen über die Exeter-Wölfe vermitteln. Darauf hoffte Zamorra. Worauf er schon nicht mehr hoffte, war, den Mann vom Wolfskeim befreien zu können. Vermutlich war alles schon zu weit fortgeschritten.
Doch das sagte er den beiden Spaniern nicht.
Als er schließlich sicher war, weit genug gefahren zu sein, um nahe genug an der Quelle zu sein, stoppte er den Wagen, schaltete alles ab und aktivierte nur die Warnblinkanlage, damit nicht später jemand im Dunkeln auf das im Weg stehende Fahrzeug knallte. Denn es gab hier keine Möglichkeit, so am Wegrand zu parken, daß ein anderes Auto vorbeikonnte. Der 560 SEL blockierte den ganzen Weg.
Wenn die Karte stimmte, waren es bis zur Quelle kaum mehr als 150 oder 200 Meter. Und es gab keinen Wald mehr.
Das war das Problem. Grissom würde kaum irgendwo auf freiem Gelände hocken. Er würde im Wald sein, zwischen dem Unterholz versteckt. Von dort aus konnte er beobachten.
Aber der Wald war auf der anderen Straßenseite. Oder hinter dem Hügel. Und ein Stück weiter bachabwärts, über eine halbe Meile entfernt, zog sich auch ein grüngrauer Streifen durch die Dämmerung.
Zamorra ging langsam in Richtung des Wassers. Es gab hier keine Zäune, keine Hecken. Eine Wildwiese breitete sich aus. Zamorra bahnte sich seinen Weg durch hochstehendes, blühendes Gras. Er sah sich immer wieder um. Dann winkte er den anderen zu.
»Stellen Sie sich auf das Autodach!« rief er ihnen zu. »Dann kann Grissom Sie besser sehen. Rufen Sie nach ihm, so laut Sie können!«
»Das gibt aber Kratzer im Lack«, warnte Cosima.
Nicole, die ebenfalls beim Wagen geblieben war, winkte ab. »Ist doch nur Zamorras Auto.«
Warte nur, meine Süße, dachte der. Das Echo kriegst du, wenn du dich mal wieder aufregst, daß dein Cadillac ’nen Fliegenschiß abgekriegt hat!
Er ging weiter und rief selbst nach Antony Grissom.
Aber der Werwolf antwortete nicht.
***
Grissom hörte die Rufe. Er sah die Menschen. Selbst in seinem verwirrten und geschwächten Zustand erkannte er zwei von ihnen. Cosima und Julio. Wieso waren sie hier?
Daß er sie am frühen Morgen angerufen hatte, war nur eine vage Erinnerung, kaum deutlicher als ein Traumfragment. Aber wie konnten sie dann so schnell hier sein? Und woher wußten sie, daß er hier war? Wie hatten sie ihn hier finden können?
Er erhob sich aus seinem Versteck und ging auf sie zu. Er war froh, daß sie gekommen waren, winkte ihnen zu. Sie kletterten vom Autodach wieder herunter und kamen ihm entgegen.
Er taumelte auf sie zu, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten. Der Hunger und der Durst in ihm wurden unerträglich. Irgendwie schaffte er es, aufrecht zu bleiben, bis die beiden nahe genug heran waren. Dann warf er sich auf Julio, schnappte nach dessen Kehle. Aber er verfehlte sie.
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