063 - Das Rätsel der Insel
Matt bekam den Tentakel dennoch zu fassen und riss ihn von sich los.
Wie ein Gummiband schnappte der Fangarm zurück in die Hauptmasse des Organismus, dessen Leuchten in hektisches Pulsieren umgeschlagen war. Von dem mumifizierten Leichnam war nichts mehr zu sehen.
Rasch eilte Matt Aruula zur Hilfe, um deren Hals sich der zweite Tentakel geschlungen hatte. Das spitze Ende des Armes war gerade dabei, über ihr Gesicht zu kriechen, über ihre Augen und hinauf zu ihrer Stir n…
»Aruula!«
Matt packte den Tentakel und zerrte mit aller Kraft daran. Die Konsistenz der Masse war zäh und elastisch, und Matt hatte alle Mühe, seine Freundin davon zu befreien. Doch endlich gelang es ihm, sie loszureißen.
»Raus hier!«, rief er ihr zu und schaute sich nach Aiko um, der sich aber bereits selbst befreit hatte. Der Tentakel, der versucht hatte, sich am Hinterkopf des Cyborgs festzusaugen, verschwand in der pulsierenden Masse des Organismus, die sich jetzt aufblähte und großer wurde.
»Verdammt, bloß weg hier!«
Aruula war bereits durch die Öffnung geklettert und half jetzt Aiko nach draußen. Als letzter verließ Matt die Höhle, nicht ohne sich noch einmal nach dem eigenartigen Lebewesen umzusehen, das jetzt bereits die Hälfte der Höhle ausfüllte.
»Komm schon!«, drängte Aruula. »Worauf wartest du noch?!«
Mit einem Hechtsprung warf sich Matt durch die kreisrunde Öffnung, rollte sich ab und kam wieder auf die Beine. »Schon da.«
Hals über Kopf stürzten sie den Stollen hinab, durch den sie gekommen waren. Von Batai und seinen Leuten war nichts mehr zu sehen - der Organismus war jetzt mit anderen Dingen beschäftigt, als ihre Trugbilder zu projizieren. Außerdem neigte sich die Lebensenergie des Mongolen dem Ende zu.
Matt kam sich vor wie in einem Albtraum. Er rannte hinter Aruula her, so schnell ihn seine Beine trugen, doch er hatte das Gefühl, dabei nicht vom Fleck zu kommen. Bei jedem Schritt, den er machte, schien sich der Stollen weiter in die Länge zu strecken, und er musste daran denken, dass auch diese Festung, dass alles, was sie umgab, nichts anderes war als eine Projektion des Organismus.
Sie waren gewissermaßen in seinem Bewusstsein gefangen.
Wenn er es nicht wollte, würden sie nie einen Ausweg finden.
Plötzlich spürte Matt, dass ihn von hinten ein Luftstoß traf.
Instinktiv wandte er sich im Laufen um - und blieb abrupt stehen. Unmittelbar hinter ihm befand sich dort, wo eben noch der offene Stollen gewesen war, eine massive Felswand. Aiko, der hinter ihm gelaufen war, war verschwunden.
»Verdammt, nicht schon wieder«, keuchte Matt und wollte Aruula zurufen, dass sie stehenbleiben sollte - als auch zwischen ihm und der Barbarin plötzlich eine Wand materialisierte.
»So ein Bockmist!« Frustriert trat Matt mit dem Fuß gegen den Fels, von dem er wusste, dass es kein echter Fels war. Doch dieses Wissen nutzte nichts, solange diese Wand ihm den Weg versperrte.
Der Organismus hatte sie voneinander getrennt, wahrscheinlich um sie einzeln einzufangen. Matt spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Er fragte sich, was als Nächstes kommen würde.
Dann horte er die Stimmen…
***
Aruula wirbelte herum.
Urplötzlich war die Barbarin von massiven Felswänden umgeben, die sie zu allen Seiten einschlossen. Von ihren Kameraden war nichts mehr zu sehen.
Der Dämon, der diese Festung bewohnte - er hatte sie eingeschlossen, hatte sie von Matt und Aiko getrennt. Er wollte einzeln gegen sie kämpfen.
»Von mir aus«, verkündete Aruula schnaubend. »Du sollst deinen Kampf haben…«
Die junge Kriegerin ballte die Fäuste. Das Schwert hatte man ihr genommen, also würde sie mit bloßen Händen antreten.
Niemand sollte sagen, dass das Volk der Dreizehn Inseln nicht zu kämpfen verstand…
Aruula brauchte nicht lange zu warten.
Tatsachlich öffnete sich schon im nächsten Moment die Stolle nwand zu einem breiten Durchgang, aus dessen dunklen Tiefen ihr böse, gelb glühende Augenpaare entgegen starrten.
Der Schrecken traf Aruula bis ins Mark.
Taratzen!
Die riesigen, menschengroßen Ratten, die die Todfeinde der Wandernden Völker waren, stellten für die Barbarin den personifizierten Schrecken dar. Viele ihrer Freunde hatten in den Krallen und zwischen den Zähnen dieser niederen, menschenfressenden Bestien ein grausames Ende gefunden; mehrmals war sie selbst ihnen nur knapp entronnen.
Diesmal jedoch würde sie sich ihnen stellen müssen.
Mit bloßen Händen…
Die Taratzen
Weitere Kostenlose Bücher