063 - Das Verrätertor
die Stirn. »Im Auswärtigen Amt sagen sie, daß er verrückt ist. Der Unterstaatssekretär war sehr darauf aus, daß ich ihn ein wenig beobachte.«
Bobby lächelte. Daß auch noch ein anderer gebeten wurde, Erkundigungen einzuziehen, wenn man doch ihn fragen konnte, amüsierte ihn sehr.
Leutnant Bobby Longfellow von der Berwick-Garde war trotz seiner etwas nichtssagenden Erscheinung ein sehr kluger Kopf; nur wurde seine Schlauheit manchmal von Illusionen beeinträchtigt, die zuweilen grotesken Charakter hatten.
Es war Bobbys Ehrgeiz, in das militärische Nachrichtendepartment des Kriegsministeriums einzutreten. Alle seine freie Zeit widmete er diesem interessanten Studium. Er war außerordentlich stolz auf seine Begabung zum Detektiv und hatte darin eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Sohn der Mrs. Ollorby.
Nach seiner Unterredung mit Dick ging er in seine eigene Wohnung. Er setzte sich nieder und dachte lange Zeit über die ungünstige Meinung nach, die Lady Cynthia von Hope Joyner hatte. Die Arme würde wohl keine Aussicht haben, in die vornehme Gesellschaft der Berwick-Garde aufgenommen zu werden. Er kannte das Mädchen gut genug, um zu wissen, daß sie nichts verheimlichte, was sie selbst anging, und daß ihr das Rätsel, das über ihrer Abstammung und Verwandtschaft lag, genauso unlöslich war wie allen anderen. Dieses Rätsel zu lösen, lohnte die Mühe für einen angehenden Nachrichtenoffizier. Es wäre ja immerhin möglich, daß er selbst ohne Hilfe, durch bloße Schlußfolgerungen und einen glücklichen Zufall, in dem großen Wald menschlicher Stammbäume gerade den einen von Hope Joyner erwischte. Denn die Tatsache war ja über jeden Zweifel erhaben, daß selbst der einfachste Straßenkehrer auf irgendeine Weise seinen Stammbaum auf Adam oder irgendwelche niedere Tiere zurückführen konnte, die die Evolutionslehre zu dessen Vorfahren machte.
Er hatte jetzt eine neue Privatbeschäftigung, von der sein Freund nichts wußte. Er hatte schon ausgedehnte Streifzüge unternommen und alle Spezialisten der Genealogie ausgefragt denn er war ein wohlhabender junger Mann – und hatte sie gebeten, ihre Nachforschungen auf den 10. Juni eines bis jetzt nicht festliegenden Jahres einzustellen. Denn Hope Joyner erhielt an jedem 10. Juni von einem Unbekannten Blumen.
9
Das Landhaus bei Cobham rechtfertigte nach Grahams Meinung den außerordentlich hohen Preis, den der Agent dafür verlangte. Das mußte er zugeben, als er von seiner neuen Wohnung Besitz nahm. Es war ein kleines, hübsches Haus im Tudorstil, das in einem etwa zwei Morgen großen Garten stand. Es lag ganz abseits, im Umkreis von einer halben Meile war weit und breit kein Haus zu sehen. Die Seitenstraße, die daran vorbeiführte, war etwa vierhundert Meter von der Portsmouth Road entfernt, und man konnte London leichter erreichen, als er zuerst dachte. Es war ein idealer Landsitz mit einem wunderschönen Park, voll von blühenden, bunten Blumen. Massige Fichtengruppen bildeten den Hintergrund und beschatteten einen Badeteich.
Diana begleitete ihn nach Cobham.
»Wenn du dir einbildest, daß ich mich auf dem Lande verstecke und meine Ansichten noch mehr verkümmern lasse, dann bist du und Trayne aber sehr im Irrtum! Ich kann ja zu Tisch manchmal zu dir kommen und vielleicht auch noch zum Abendbrot bleiben. Aber das ist alles!«
»Denkst du auch noch daran, daß wir verheiratet sind?« fragte Graham ironisch.
»Ich vergesse das soviel wie möglich, aber manchmal ist es schwer«, sagte Diana ruhig. »Du scheinst ebensowenig daran zu denken, daß ich viele Pflichten in der Stadt habe.«
Graham hatte eine gewisse Scheu, ja selbst Furcht vor dieser Frau, an die er sich gebunden hatte. Beide sahen ihre Heirat jetzt als einen Wahnsinn an. Diese Ehe wurde nicht durch Liebe zusammengehalten. Die beiden Gatten hatten kaum Achtung voreinander. Leichtsinnig waren sie an einem kalten Dezembermorgen zum Standesamt gegangen, und beide bereuten die voreilige Tat schon seit langem.
So ging Graham allein aufs Land und war gespannt, welche Maßnahmen für sein persönliches Wohlbefinden getroffen waren. Das Haus wurde von einem Gärtner betreut, einem harten und wenig mitteilsamen Menschen, der ein besonderes Häuschen in einer Ecke des Parkes bewohnte. Seine Frau war zu gleicher Zeit Köchin und Aufwärterin. Ihre sechzehnjährige Tochter half ihr. Das Mädchen hatte ein unglückliches Aussehen und schien etwas geistesgestört zu sein.
Der schweigsame Gärtner
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