063 - Die linke Hand des Satans
früh genug kennenlernen. Also ließ ich meinen Wein stehen und tauchte in der Menge unter.
Die schöne Helena stand in großen Lettern auf einer Wand eines Wohnwagens. Vor der Treppe zum Eingang er blickte ich den jungen Burschen, der mich so großsprecherisch zurechtgewiesen hatte. Er nahm auch jetzt den Mund sehr voll, nur tat er es, um sein Schaustück - das Schönste, was die Natur je hervorgebracht hat - dem Publikum anzupreisen.
Nun, vielleicht konnte ich mich hier einerseits den Blicken des Freischützen für eine Weile entziehen und andererseits dem Burschen seine Überheblichkeit heimzahlen.
„Nun, verehrter Jahrmarkts-Gaukler", begrüßte ich ihn, „wenn Ihr glaubt, daß das, was Ihr zu bieten habt, auch von mir als das Schönste, was die Natur hervorgebracht hat, anerkannt wird, dann nehmt meinen Obolus entgegen."
Er war nur einen Moment überrascht, dann lächelte er verbindlich.
„Ihr dürft ganz umsonst einen langen Blick auf die begnadeten Hände der schönen Helena werfen, verehrter Theriakkrämer" erwiderte er. „Denn im Gegensatz zu anderen wollen wir nicht betrügen, sondern den Leuten die Augen für das wahrhaft Schöne öffnen."
„Nach dem Gedränge um euern Wagen herum zu schließen", entgegnete ich spöttisch, „haben entweder die Rimlicher keinen Sinn für Schönheit, oder aber sie wissen, daß Ihr nicht halten könnt, was Ihr versprecht."
„Tretet ein und seht selbst!" forderte er mich auf.
Als ich die Stufen zu dem Wohnwagen hinaufstieg, bemächtigte sich meiner eine seltsame Nervosität. Ich öffnete die knarrende Tür, kam in einen engen, dunklen Raum mit einem wackeligen Stuhl und setzte mich. An der der Eingangstür gegenüberliegenden Wand befanden sich zwei kreisrunde Löcher. Das erkannte ich noch, bevor die Tür hinter mir krachend ins Schloß fiel.
„Fürchtet Euch nicht!" ertönte eine Männerstimme durch die Trennwand mit den beiden Löchern. „Entzündet die Kerzen zu Euern Füßen, damit Ihr die Euch dargebotene Schönheit im rechten Licht besehen könnt!"
Ich gehorchte und entzündete die Kerzen. Atemlos starrte ich auf die beiden dunklen Löcher, hinter denen sich etwas bewegte, und im nächsten Augenblick erschienen zwei Hände und stießen durch die. Löcher, bis sie bis zu den Gelenken zu sehen waren.
Zuerst hielten die zwei Hände ganz still, damit sie eingehend betrachtet werden konnten. Ich sah sie mir genau an. Es waren schmale schöne Frauenhände, mehr nicht. Ich hatte schon viele Leute mit so anmutigen Händen gesehen. Dann bewegte sich zuerst die linke Hand. Ruhig. Die biegsamen Finger rieben sanft gegeneinander, bewegten sich wie Farne in der Wasserströmung. Ich mußte an die üppigen Unterwasserpflanzen in den Buchten der Neuen Welt denken. Die Hände begannen sodann, einander zu kosen. Hatte mich zuerst nur die linke Hand gebannt, ging die Faszination jetzt von beiden aus. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, diese Hände zu berühren, hatte jedoch Angst, daß sie sich durch meine Berührung in Nichts auflösen könnten - oder daß ich sie durch meine Berührung beschmutzen würde. Diese Hände waren so rein, so unbefleckt. Die Finger konnten so verführerisch eine unsichtbare Leiter emporsteigen, daß man unwillkürlich die Frau seiner Träume vor sich sah. Vor meinem geistigen Auge erschien Machu Picchu. Da wurden die Hände eifersüchtig. Sie zankten sich, rangen miteinander. Ich spürte die geballte Kraft, die in den schlanken Fingern steckte, und diese Kraft wurde während des stummen Ringkampfes entfesselt. Doch es gab zum Glück keinen Sieger, keinen Besiegten. Der Streit der Hände löste sich in Wohlgefallen auf, sie liebkosten einander wieder.
Das war der Schlußakt. Die Hände wollten sich durch die Öffnungen wieder meinen Blicken entziehen.
„Nein!"
Ich schrie es, griff nach den Händen, um sie zurückzuhalten, doch sie entzogen sich mir wie Schlangen.
Ähnlich mußte es Tantalus ergangen sein, dem man die begehrtesten Köstlichkeiten zeigte und sie ihm wegnahm, wenn er danach schnappte.
Ich rüttelte an der Trennwand und stellte erleichtert und gleichzeitig bestürzt fest, daß sie nachgab. Sie öffnete sich wie eine Tür.
Und da sah ich sie sitzen, die Geblendete aus Konstanz, die man des Diebstahls an ihrem Herrn bezichtigt und der man die linke Hand abgeschlagen hatte. Sie war die Besitzerin der schönsten Hände dieser Welt. Sie verbarg sie ängstlich unter ihrem Kittel.
Was gaukelte man mir hier vor? Welchen Betrug
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