0630 - Das Tengu-Phantom
bereits auf mich warteten.
»Spielte der Knilch den großen Max?«, fragte mein Freund.
Ich winkte ab. »Sagen wir so, er versuchte es. Aber das misslang mal wieder.«
»Wie schön.«
Sekunden später betraten wir das Hotel.
Es war nicht viel los. Selbst auf den Klavierspieler in der Halle hatte man um diese Zeit verzichtet.
Der Klimperonkel würde wohl erst zur Blauen Stunde erscheinen und damit beginnen, die Tasten zu quälen.
Wir gingen zur Rezeption, wo die Hiltongirls nett lächelten und nach unseren Wünschen fragten.
Einen Wunsch hatte nur Mr. Isanga. Sein Zimmer war reserviert worden, er erhielt auch den Schlüssel und musste hoch in den vierzehnten Stock des Gebäudes.
Vor den Aufzügen kam unser Gast noch einmal auf sein spezielles Thema zu sprechen. »Bitte, Sie brauchen sich um mich nicht zu kümmern. Ich fahre nach oben, werde duschen und…«
Suko lächelte ihn an. »Lieber, Mr. Isanga. Wir wollen doch, dass Ihnen hier in London kein Leid geschieht.«
Sein Blick verdunkelte sich. »Ich werde sterben, lassen Sie sich dies gesagt sein.«
»Abwarten.«
Das sanfte Klingeln zeigte uns an, dass der Lift da war. Die Tür schob sich auseinander, und wir konnten die breite, mit warmen Stoffen ausstaffierte Kabine betreten.
»Der Tengu kann uns überall erwischen«, sagte der Mann aus Japan. »Auch hier im Lift. Für ihn gibt es keine Hindernisse. Wo er hinwill, kommt er auch hin.«
Ich winkte ab. »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand.«
»Das ist aber so.«
Die vierzehnte Etage war bei diesem Tempo schnell erreicht. Dort bimmelte es wieder. Wir verließen die Kabine und befanden uns in einem der langen Hotelflure.
Helle Wände, kleine Nischen darin und braune Türen. Das übliche Schema. Ich verspürte bei diesen engen Gängen immer Platzangst, zudem schluckte ein Teppich die Schritte.
Am Ende des Flurs standen zwei Mädchen zusammen und saugten den Boden mit einem großen Staubsauger.
Sie waren bestimmt keine Tengus.
Vor der entsprechenden Tür blieb ich stehen, nahm den Schlüssel und betrat den Raum.
Er war aufgeräumt und leer, von einem Tengu keine Spur. Auch im kleinen Bad erwartete uns niemand.
Vor Suko betrat der Japaner den Raum, sah mein Lächeln und schüttelte den Kopf. »Freuen Sie sich nicht zu früh. Der Tengu kann überall sein. Er besitzt nicht nur körperliche, auch geistige Kräfte. Er schafft es, sich auf die Person zu konzentrieren, die er umbringen will. Und er sieht immer anders aus. Man weiß nie, ob er dir plötzlich gegenübersteht und eine Technik anwendet, die bei uns oni heißt.«
Suko schloss die Tür von innen, als ich fragte: »Was ist denn oni?«
Die Antwort gab mein Freund. »Oni ist furchtbar. Es ist die Kampfkunst der Dämonen, und sie wird ohne Waffen geführt.«
»Ganz ohne?«
Suko verzog leicht die Mundwinkel. »Die Hände reichen, John. Sie sind manchmal schärfer als Messer.«
Mich überkam plötzlich ein verdammt kaltes Gefühl, das sich im Nacken festsetzte. »Danke, das reicht.«
Mr. Isanga hatte seine Zimmer betreten. Die grelle Sonne strahlte herein, als der Mann die Gardinen aufzog.
Ich hatte mich auf die Bettdecke gesetzt und zum Telefonhörer gegriffen.
»Wen möchten Sie anrufen, Mr. Sinclair? Ich will nicht indiskret sein, rechne jedoch damit, dass es mit mir zusammenhängt.«
»Stimmt.«
»Bitte, Mr. Sinclair.« Er sprach zu mir wie ein Vater zu seinem ungehorsamen Kind. »Nicht wegen mir. Sie brauchen mir keinen Schutz zu besorgen. Wenn es nötig sein sollte, kann ich mich auch allein verteidigen, glauben Sie mir.«
Mein Blick war skeptisch. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, oder beherrschen Sie auch die Kunst des oni?«
»Ein wenig.«
Schnaufend atmete ich aus, schaute zu meinem Freund hin, der die Schultern hob. Des Menschen Wille ist bekanntlich sein Himmelreich. Ich würde nicht nach Schutz telefonieren, dafür aber mit meinem Chef sprechen, um ihn von den neuen Vorfällen in Kenntnis zu setzen.
»Auf Ihren Anruf habe ich gewartet, John.«
»Wieso? Ist was passiert?«
»Ja, ich möchte, dass Sie kommen.«
Den Hörer hielt ich so weit vom Ohr weg, damit auch Suko mithören konnte.
»Was ist der Grund, Sir?«
»Reichen Ihnen zwei Tote?« Er hatte sehr bissig gesprochen. »Eine Frau und ein Mann.«
Ich schluckte. »Wissen Sie Näheres, Sir?«
»Nichts Genaues, John. Ich werde mit dem Ehemann der Toten reden. Was ich an Informationen habe, hat mir der Commissioner übermittelt. Alles deutet auf eine große
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