0630 - Minotaurus aus der Hölle
auch Eva das seltsame Phänomen. Ihre Kleidung war wieder vorhanden!
War so fühlbar und real wie die grauen Mauern, von denen sie umgeben waren…
»Dann gibt es jetzt auch wieder Richtungen, in die man sich bewegen kann!« behauptete Nicole. »Die Rematerialisierung und auch diese für uns real gewordenen Wände sind der Beweis!«
Eva wandte sich um und schritt den schmalen Gang entlang. Nach ein paar Metern gelangte sie an eine Abzweigung. »Das ist ein Labyrinth«, sagte sie. »Wie sollen wir hier herausfinden?«
»Wir befinden uns in der Nähe des Ein- oder Ausgangs«, vermutete Nicole. »Immerhin haben wir uns nicht sehr weit entfernt. Wir müßten diesen Ausgang also innerhalb weniger Minuten finden.«
»Aber nur, wenn wir die richtige Abzweigung nehmen. Wohin müssen wir jetzt? Nach rechts oder geradeaus? Und da drüben ist schon der nächste Knick.«
»Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit, absolut sicher aus jedem Labyrinth wieder herauszukommen«, sagte Nicole. »Man hält sich grund-, sätzlich und ausnahmslos nur immer entweder nach rechts oder nach links. Diese Richtung darf man nicht mehr wechseln, darf von dem Prinzip nicht mehr abweichen. Irgendwann erreicht man dann ganz automatisch den Ausgang.«
»Davon habe ich schon mal gehört«, sagte Eva versonnen.
»Wann und wo?« stieß Nicole hervor.
»Weiß ich nicht«, seufzte das Para-Mädchen. »Ich weiß, worauf du hinauswillst - auf eine eventuelle Erinnerung. Aber damit kann ich dir leider nicht dienen.«
Nach ein paar Sekunden fuhr sie fort: »Dieses Eine-Richtung-Prinzip hat aber einen großen Nachteil. Wenn man Pech hat, durchwandert man das Labyrinth in der falschen Richtung und verliert eine Menge Zeit, während der Ausgang unmittelbar nebenan gelegen hätte - ohne daß man es weiß.«
Die Französin nickte.
»Du hast recht«, sagte sie. »Aber auch wenn es mit etwas Pech eine sehr lange Wanderung werden kann, ist es die einzig perfekte Lösung. Man kann aber auch Glück haben und den Ausgang schon sehr schnell erreichen.«
»Wie ein Lotteriespiel«, sagte Eva.
Nicole grinste jungenhaft.
»Ich bin eine Spielernatur. Versuchen wir's einfach mal! Gehen wir nach rechts…«
***
Rico Calderone sondierte die Lage. Er fädelte sich durch den Zugang zum Labyrinth, ohne ihn selbst wirklich zu passieren. Das riskierte er nicht, um sich nicht zu verraten. Er schätzte Zamorra als einen äußerst gefährlichen Gegner ein, den er keinesfalls unterschätzen durfte.
Aus einer verschobenen Betrachter-Perspektive sah er, wie Zamorra herauszufinden versuchte, was sich abgespielt hatte. Es war kein direktes Sehen, sondern eine Übermittlung von Informationen. Etwas, das durch Magie erfaßt wurde, wurde in elektronische Impulse umgewandelt und formte sich zu einem Bild, das Calderone wiederum auf magische Weise wahrnahm.
Die Verzahnung wurde immer intensiver; er konnte nur noch darüber staunen. Ihm war, als würde diese Verbindung von Magie und Elektronik sich allmählich verselbständigen.
Aber das war nicht sein vordringliches Problem.
Er beobachtete Zamorra.
Der Mann schien ratlos.
Unter anderen Umständen hätte Calderone sich daran begeistern können. Hier aber ging es ihm darum, daß Zamorra die Falle betrat. Das konnte er nur, wenn er wußte, wie.
Aber das schien er nicht zu erkennen.
Von den Gesprächen bekam Calderone nichts mit; es gab nur Bildinformationen. Die waren für ihn aussagekräftig genug.
Er mußte etwas tun.
Er gab neue Befehle ein. Die Falle wurde ein zweites Mal an dieser Stelle geöffnet. Und zwar so, daß Zamorra keine andere Möglichkeit hatte, als hineinzugeraten. So wie vor ihm die beiden Frauen.
»So oder so«, murmelte Calderone. »Ich kriege euch alle…«
***
Stygia bewegte sich durch das Labyrinth, ohne von Mauern behindert zu werden. Für sie existierten die Wände nicht. Die Fürstin der Finsternis befand sich außerhalb des virtuellen Raumes, obgleich sie sich genau dort bewegte, wo dieser Raum existierte.
Nebenbei registrierte sie, daß auch der Minotaurus an die Zwänge des Cyberspace gebunden war. Er konnte die Wände ebensowenig durchdringen wie die beiden Menschen.
Er konnte auch nicht durch sie hindurchschauen.
Aber er verfügte über geradezu unheimliche Kraft.
Stygia sah, wie er plötzlich emporsprang. Seine Klauenhände erreichten die obere Mauerkante. Mit einem gewaltigen Klimmzug wuchtete der Minotaurus seinen massigen Körper empor, schwang sich auf die Mauerkrone hinauf.
Das
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