0630 - Minotaurus aus der Hölle

verschaffte ihm einen erheblichen Vorteil.
    Von dort oben hatte er eine bessere Übersicht, und er konnte über die einzelnen Gänge des Labyrinths hinweg springen. Indem er sich oberhalb der Mauern bewegte, unterlag er den Zwängen nicht mehr.
    Stygia war nicht sicher, ob ihr diese Form der Überlegenheit gefiel.
    Am wenigsten gefiel ihr, daß der Minotaurus auf die Idee gekommen war, nach oben zu turnen. Das ließ auf Denk- und Lernfähigkeit schließen. Beides war aber nichts, was Stygia sich von dem Ungeheuer erwünschte. Wer so schnell hinzulernte, war gefährlich.
    Wessen Schuld war es, daß der Minotaurus denken konnte?
    Hatte auch hier wieder Calderone seine Finger im Spiel und versuchte der Fürstin der Finsternis seine Überlegenheit zu zeigen?
    Wenn ja, dann wurde er für sie noch gefährlicher, denn sie war es doch gewesen, die den Minotaurus geschaffen und in dieses Labyrinth gestellt hatte! Wenn ja, dann war Calderone in der Lage, auf seine Weise Stygias Magie zu manipulieren!
    Ich muß ihn töten, dachte sie. Sobald das hier zu Ende ist, muß ich ihn töten. Sonst wird irgendwann er mich umbringen.
    Sie näherte sich den beiden Frauen, nahm wahr, daß sich von der anderen Seite her der Minotaurus näherte. Zufall, oder witterte er seine Beute bereits? Da er sich in weiten Sprüngen über dem Labyrinth bewegte, kam er sehr schnell heran.
    Vorsicht war geboten - auch für Stygia…!
    ***
    Zamorra fühlte, wie der Cadillac um ihn herum verschwand. Einfach wegglitt, während er selbst in eine andere Umgebung versetzt wurde. Er versuchte noch, sich festzuklammern, in einem irrationalen Versuch, das Unvermeidliche zu verhindern.
    Aber es gelang ihm nicht.
    Seine Umgebung wechselte.
    Er befand sich auf freiem Gelände. Eine graue Ebene, die sich endlos erstreckte, und darüber ein düsterroter Feuerhimmel!
    Unsanft prallte er auf den Boden, kam allerdings sofort wieder auf die Beine. Er sah sich um, suchte nach dem Rückweg. Doch es gab kein erkennbares Tor. Wenn es sich wirklich um ein Weltentor handelte, dann war es erstklassig getarnt.
    Der Rückweg… nicht zu erkennen, nicht zu erfassen.
    Nicole und Eva? Nicht zu sehen.
    War er an einen anderen Ort versetzt worden als sie?
    Das Amulett reagierte nicht. Es zeigte keine Schwarze Magie an. Zamorra hatte auch kaum etwas anderes erwartet.
    Aber als er es berührte, konnte er es zwischen seinen Fingern nicht fühlen!
    Es war da, aber ungreifbar!
    Wie seine Kleidung!
    Die konnte er sehen, spürte auch, daß er sie trug, aber sie schien nicht wirklich vorhanden zu sein. Und das Auto war überhaupt nicht vorhanden!
    »Verdammt«, murmelte Zamorra.
    Er war in die gleiche Falle geraten. Eine, die er nicht hatte erkennen können, und er konnte jetzt nur hoffen, daß nicht auch noch andere hineingerieten. Er fragte sich, warum er nicht schon vorher hineingefahren war. Nämlich an der gleichen Stelle, an der es Nicole und Eva erwischt hatte. Eigentlich hätte er ebenso hindurchrollen müssen, hätte der Cadillac genau dort im Graben landen müssen, wo vorher schon der BMW abgerutscht war.
    Aber das war nicht geschehen!
    Erst beim Versuch, den umgekehrten Weg zu benutzen, zum Château zurückzukehren, war es passiert!
    Bedeutete das nicht, daß die Falle ferngesteuert wurde?
    Daß jemand als Beobachter im Hintergrund lauerte und alles registrierte, was sich hier abspielte?
    Aber wer?
    Der Dämonenjäger atmete tief durch.
    Einerseits war er jetzt genau da, wo er hingewollt hatte. Andererseits war es viel zu früh, viel zu unvorbereitet. Er trug nichts als sein Amulett bei sich, keine weitere Ausrüstung, mit der er gegen Schwarze Magie hätte bestehen können. Er mußte also sehr vorsichtig sein. Mußte davon ausgehen, daß sein Gegner ihm haushoch überlegen war.
    Ein Gegner, den er nicht kannte, den er nicht einschätzen konnte…
    Aber eines stellte er sehr schnell fest: Ebensowenig, wie er den Durchgang von der anderen Seite her hatte feststellen können, konnte er es von hier aus. Aus eigener Kraft kam er zunächst nicht zurück.
    Also blieb ihm nur eine einzige Möglichkeit: Den Feind aufspüren, stellen und zur Strecke bringen.
    Den Feind, der hier ›Heimspiel‹ hatte!
    Und ganz nebenbei galt es auch noch, die beiden Frauen aufzuspüren…
    Noch während er darüber nachdachte, wie er das alles anstellen sollte, begann seine Umgebung sich zu verändern.
    Auf der leeren, grauen Fläche des Bodens begannen sich Linien abzuzeichnen.
    Die Linien eines