064 - Der Frauenhexer
zurückgekehrt.
Signefeu hob die Hand, doch auch er konnte den Bannkreis nicht überschreiten. Sein bleiches Gesicht verzerrte sich vor Wut und Haß. Dr. Heydenreich sah das Glühen in seinen dunklen Augen.
Der Arzt stand da wie gelähmt. Dann verschwand der Hexer, das Rütteln an der Türklinke verstummte. Die beiden Hexen flogen rittlings auf ihren Besen davon.
Dr. Heydenreich konnte immer noch kein Glied rühren. Es war, als hätte der drohende Blick des Hexers ihn hypnotisiert.
Es sollte eine lange Nacht werden für Dr. Heydenreich, denn der Bann hielt bis zum Tagesgrauen an. Thorsten Thorn schlief fest. Schlimmer noch als seine Hilflosigkeit war für den Psychiater aber die Ungewißheit über das Schicksal von Linda Scholz. War auch sie durch den Bannkreis einer unbekannten Macht vor dem Hexer und seinem Gefolge geschützt?
Der bleiche Mann schwebte hinüber zum Balkon von Linda Scholz’ Zimmer. Er murmelte eine Beschwörung. Im nächsten Augenblick trat er durch die verschlossene Tür. Liliane Hillfahrt schlief fest.
Der Hexer vertiefte ihren Schlaf noch durch einen Zauberspruch, so daß sie in den nächsten Stunden sicher nicht erwachen würde. Er trat zu der schlafenden Linda Scholz. Sie schien einen Alptraum zu haben, denn sie verzog das Gesicht, warf sich im Bett hin und her.
Der Hexer sah im Dunkeln wie eine Katze. Längst vergessene Erinnerungen überkamen ihn, als er das blonde Mädchen betrachtete.
„Roxane!“ flüsterte er. „Diesmal wirst du mir gehören. Du wirst eine der unseren werden, eine Hexe aus Gilbert Signefeus Zirkel. Wenn ich dich habe, werde ich jene Macht vernichten, die sich soeben meinen Plänen entgegengestellt hat.“
Er berührte Linda Scholz an der Schulter, rüttelte sie. Das Mädchen erwachte. Sie knipste die Nachttischlampe an. Der Hexer stand am Fuß ihres Bettes, die Arme vor der Brust verschränkt. Linda Scholz sah in das entstellte Antlitz, das sie in ihren Träumen verfolgt hatte.
Sie wollte schreien, doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht.
Auf einen Wink des Hexers erhob sie sich, zog sich an. Sie öffnete die Balkontür, trat hinaus auf den Balkon. Ihr Geist war vor Schrecken und Entsetzen wie gelähmt. Ihr Körper gehorchte Signefeus Willen. Sie befand sich in der Gewalt des Hexers, wie ihre unglückliche Doppelgängerin Roxane im 16. Jahrhundert.
Linda stand im Mondlicht auf dem Balkon. Zwei Hexen auf Besen ritten durch die helle Nacht heran, packten Linda unter den Armen und trugen sie empor in die Lüfte. In sausendem Flug ging es durch die Nacht, hinüber zum Wald.
Linda Scholz sah den Boden unter sich dahinrasen. Sie schloß die Augen, als ihr die schwindelnde Höhe bewußt wurde.
Wachte sie oder träumte sie?
Plötzlich stürzte sie, hatte aber sofort Boden unter den Füßen. Sie erhob sich.
Linda befand sich auf einer Lichtung, in deren Mitte ein Feuer brannte. Der dunkel gekleidete Mann mit dem Feuermal stand vor den Flammen, die ihn zu umlodern schienen. Um ihn hatten zwanzig Frauen einen Ring gebildet. Linda sah alte Megären mit fast fleischlosen Gesichtern, deren Köpfe Totenschädeln ähnelten, und junge, schöne Frauen und Mädchen.
Wie gebannt blieb sie außerhalb des Kreises stehen.
„Ich, Gilbert Signefeu, bin wiedergekehrt“, hörte Linda den Hexer rufen. „Menschliche Habgier und Dummheit haben mein Gefängnis geöffnet. Ich habe meine irdische Existenz wieder, wenn auch nur für eine Stunde am Tag, die Geisterstunde. Während der übrigen Stunden bin ich als körperloser Geist anwesend, der nur in beschränktem Maß physische Aktionen durchführen kann.“ Linda erkannte, daß der Hexer nicht wirklich sprach, sondern daß sie seine Stimme in ihrem Gehirn hörte. „Ich bin euer Herr, ihr alten Hexen, die ihr mir schon vor 390 Jahren dientet, und die ihr all die Zeit mein Haus für mich freigehalten und euch dort in den Nächten getroffen habt.“
Die uralten, verrunzelten, kaum noch menschenähnlichen Weiber verneigten sich vor Signefeu.
„Und ihr, ihr jungen Hexen, die ich vor kurzer Zeit erst in meinen Zirkel gerufen habe, auch euer Meister bin ich. Ihr seid mir widerspruchslosen Gehorsam schuldig.“
Die jungen, hübschen Mädchen und Frauen verneigten sich vor dem Hexenmeister.
„Nun denn“, rief er. „Schreiten wir zur ersten Tat. Bringt die Gefangene.“
Zwei Hexen packten Linda Scholz, führten sie vor den Hexer. Er hob die Hand. Eine wilde Melodie klang auf. Die Hexen wirbelten in rasendem, ekstatischem
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