064 - Der Frauenhexer
Wand.
Beim Frühstück waren alle bedrückt und schweigsam. Der plötzliche Tod des Hotelinhabers Rüger hatte die Zuversicht, die am Tag zuvor aufgekommen war, jäh zerstört. Die Dreharbeiten dieses Films standen unter einem Unstern, das war klar. Was würde noch geschehen?
Linda Scholz saß Thorsten Thorn und Dr. Heydenreich schweigend gegenüber. Sie sprach nicht über die Ereignisse der Nacht, über die schrecklichen Träume und makabren Erlebnisse, da sie um Thorsten Thorns Leben fürchtete. Der Hexer konnte ihn ebenso ermorden wie den unglücklichen Hotelbesitzer.
Dr. Heydenreich schwieg, weil er sich entschlossen hatte, seinen eigenen Augen nicht zu trauen. Er wollte noch am gleichen Tag nach Hause zurückkehren und sich in die psychotherapeutische Behandlung eines Kollegen begeben.
Thorsten Thorn hatte die ganze Nacht hindurch tief und fest geschlafen. Die unheimlichen Ereignisse seit der Ankunft des Filmteams im Hotel erschienen ihm heute unter einem anderen Aspekt. Irgendwie mußte es doch eine natürliche Erklärung geben!
Thorn brannte darauf, die Dreharbeiten an diesem Tag wieder aufzunehmen. Dr. Heydenreichs Erklärung, er sehe keinen Anlaß zur Sorge und er müsse nach Hause zurückkehren, unterstützte Thorn. Der gequälte Blick, den der Psychiater ihm zuwarf, entging ihm.
Nach dem Frühstück begann die Arbeit. Schultz-Breitenberg wollte endlich die schon zweimal verschobene Szene des Kampfes zwischen dem Hexer und seinem Anhang und den Spessarträubern abdrehen.
Kurz nach 8.30 Uhr war alles drehbereit. Thorsten Thorn mit seinem schwarzen Umhang, bleich geschminkt, ein Feuermal auf der linken Gesichtshälfte, stand vor dem Galgenwirtshaus. Die Gruppe der sieben Hexen, die Leonora Rycka anführte, kam über den Hügel. In halber Höhe des Abhangs stand der verwitterte alte Galgen. Der erste Aufnahmewagen war in Thorns Nähe postiert, der zweite wartete dem Galgen gegenüber.
„Ruhe!“ brüllte der Regieassistent ins Megaphon. „Einstellung 503 – Anfang. Kamera Eins: An!“
Der Kameramann auf dem Aufnahmewagen in halber Höhe des Abhangs nahm den Galgen auf, dann die Hügelkuppe, auf der jetzt die Hexen erschienen. Langsam, gemessenen Schrittes kamen sie näher.
„Kamera Zwei!“
Die zweite Kamera nahm Thorsten Thorn und das Galgenwirtshaus auf.
Als die Hexen sich auf halbem Weg zwischen Hügelkuppe und Wirtshaus befanden, brüllte der Regieassistent ins Megaphon: „Räuber – an! Einstellung und Aufnahme Kamera Eins.“
Die Kamera vollführte einen Schwenk von der Hexengruppe zur Hügelkuppe. Dort erschienen jetzt Thomas Leupolt und elf Spessarträuber. Thomas Leupolt deutete mit dem Schwert auf die Hexen.
„Kamera Zwei – an.“
Thorsten Thorn breitete die Arme aus, spreizte den schwarzen Umhang. Großaufnahme. Auf dem Hügel bäumte sich Thomas Leupolts Pferd auf, warf fast den Reiter ab. Leupolt zügelte es. Er und die Räuber preschten auf die Hexen los.
„Los, Verstärkung.“
Fünf weitere Hexendarstellerinnen kamen aus dem Haus geeilt, bildeten einen Halbkreis um Thorsten Thorn. Nur wenige Meter trennten die Räuber jetzt noch von den Hexen, die vor ihnen flüchteten.
„Sprengladung. Feuerwerk.“
Thorn winkte mit der Hand. Zwischen den Hexen und ihren Verfolgern wurde elektrisch die vorher vergrabene Sprengladung gezündet. Es knallte, Rauch stieg auf. Zugleich loderten Flammen auf, bildeten eine Linie. Die Räuber zügelten ihre Pferde, brüllten durcheinander.
Fast hatten die fliehenden Hexen Thorn und seine Gruppe erreicht.
„Jörn Freydag, Räuber, Action!“
Auf einen anfeuernden Ruf Leupolts hin trieben die Räuber ihre Pferde durch die Feuerlinie. Sie preschten auf die Hexengruppe zu, die sich nun vereinigten.
„Kampfszene.“
Die Räuber schlugen mit den Schwertern in die Luft, schrien, trieben ihre Pferde im Kreis. Plötzlich ließen sich zwei aus dem Sattel fallen. Einer rannte davon, der andere blieb im Gras liegen. Er hatte einen Behälter panchromatischen Blutes zerdrückt, das ihm jetzt über Gesicht und Hals rann.
Auch andere Räuber bluteten.
Leupolt sprang aus dem Sattel, zückte das Schwert.
„Sehr gut. Flucht.“
Die Räuber stoben davon. Während Kamera Eins die Fliehenden aufnahm, schminkte der Maskenbildner Thomas Leupolt zurecht. Dann lag der blonde Mann blutbeschmiert und mit zerfetzten Kleidern am Boden. Es sah aus, als sei seine Kehle aufgerissen.
Kamera Zwei wurde an ihn herangefahren. Das Auge an die
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