064 - Der Frauenhexer
Tanz herum. Einige stoben auf ihren Besen durch die Luft.
„Willst du zu uns gehören?“ fragte Gilbert Signefeu.
Linda schüttelte den Kopf. Der Hexer zischte eine Beschwörung. Eine große, glühende Schlange wuchs aus dem Feuer, hob den dreieckigen Kopf, als wollte sie zustoßen, ihre Giftzähne in Linda Scholz’ Fleisch graben.
„Wenn du nicht zu uns gehören willst, wird die Schlange dich töten“, rief Gilbert Signefeu. „Also, willst du?“
Wieder schüttelte Linda den Kopf.
Der Hexer rief einen Befehl. Sofort packten vier Hexen Linda, trugen sie in die Lüfte empor, bis sie das Feuer nur noch als einen kleinen, hellen Punkt sah.
„Wenn du nicht zu uns gehören willst, lassen wir dich in die Tiefe stürzen“, sagte eine der Hexen. „Willst du?“
Hätten nicht ihre Träume Linda all die Schrecken und Greueltaten des Hexers gezeigt, sicher hätte sie in ihrer Angst zugestimmt.
Doch so antwortete sie wiederum: „Nein.“
Die Hexen ließen sie los. Wie ein Stein stürzte Linda in die Tiefe. Rasend schnell wurde das Feuer größer.
„Die letzte Möglichkeit, dein Leben zu retten. Willst du eine Hexe werden wie wir?“
Roxanes Bild, ihr Ebenbild, stand in jenen Sekunden vor Lindas Augen. Unendlich traurig blickten die Augen des Mädchens. Sollte Linda sich dem Ungeheuer ausliefern, das dieses Mädchen ins Verderben und zu einem schrecklichen Ende geführt hatte?
„Nein, nein, nein.“
Im letzten Augenblick, als sie sich schon tot und zerschmettert auf der Lichtung sah, fingen die fliegenden Hexen Linda auf und setzten sie vor Gilbert Signefeu ab.
Zorn stand im Gesicht des Hexers, loderte aus seinen Augen.
„Du bist hartnäckiger als alle andern“, sagte der Hexer. „Nur eine habe ich gekannt, die so war wie du. Doch ich weiß, wie ich deinen Willen brechen kann.“
Die wilde Melodie verstummte. Die Hexen sammelten sich wieder im Kreis. Gilbert Signefeu murmelte Beschwörungen, die von den Hexen wiederholt wurden. Plötzlich sah Linda, deutlich wie auf einer Filmleinwand, einen Mann in seinem Bett. Es war Rüger, der Hotelbesitzer. Signefeu rief eine Verwünschung.
Auf der Projektion, die deutlich sichtbar in der Luft schwebte, sah Linda, wie Rüger sich im Bett aufsetzte, sich an die Kehle griff und röchelnd zur Seite fiel. Sie wußte, daß er tot war.
Dann erschien ein anderes Bild. Linda erkannte den friedlich schlafenden Thorsten Thorn. Wieder murmelte Signefeu Beschwörungen, die von den Hexen wiederholt wurden.
„Wenn du uns nicht angehörst, dann stirbt er“, sagte der Hexer. „Du hast nur eine Minute, dich zu entscheiden.“
Linda zauderte. Sie liebte Thorn. Konnte sie ihn dem Tod ausliefern? Vielleicht gab es eine Möglichkeit, die Einwilligung zum Beitritt zum Hexenzirkel zu geben und Signefeu später doch zu entkommen. Sie mußte es wagen, um Thorn zu retten.
„Willst du eine Hexe werden?“
Bevor Linda mit‚ Ja’ antworten konnte, verblaßte der Körper Signefeus, wurde durchsichtig. Die Projektion des schlafenden Thorsten Thorn verschwand.
„Zum Teufel“, rief der Hexer. „Die Geisterstunde ist vorbei. Ausgerechnet jetzt! In körperlosem Zustand reichen meine Kräfte nicht, den Zauber zu vollenden. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“ Zu den Hexen gewandt, fügte er hinzu: „Bringt sie zurück, sie entgeht uns nicht.“
Der Körper Signefeus verschwand, löste sich in Luft auf. Wieder packten zwei Hexen Linda, führten sie durch die Luft davon. Sie brachten sie zurück in ihr Zimmer. Eine der Hexen murmelte einen Zauberspruch.
Daraufhin wurde Linda so müde, daß sie einen Augenblick später eingeschlafen war. Sie sah nicht einmal mehr, wie die Hexen durch die Lüfte davonflogen.
Erst am Morgen weckte das Sonnenlicht Linda Scholz. Die Balkontür stand offen. Linda wunderte sich darüber. Liliane Hillfahrt neben ihr schlief noch tief und fest.
Linda merkte, daß sie völlig angezogen war. Sie sah an sich herunter. Ihre Schuhe waren voller Erde.
Sofort standen die merkwürdigen, beängstigenden Alpträume wieder klar und deutlich vor Lindas Augen. Aber war der zweite tatsächlich nur ein Traum gewesen?
Linda hörte Schritte auf dem Flur, Rufe. Sie öffnete die Tür. Eine der Statistinnen kam gerade von der Treppe zum Erdgeschoß.
„Was gibt es? Was ist los?“
„Der Hotelbesitzer ist tot. Er ist heute nacht gestorben. Seine Frau behauptet, er sei immer kerngesund gewesen.“
Linda schloß die Tür. Fassungslos lehnte sie sich gegen die
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