0644 - Der Leichenfürst von Leipzig
Beinen festhalten.
Erika kam wieder hoch. Sie stand praktisch auf der Türschwelle und glotzte in den Raum.
Mit einem Arm drückte Suko Grete Schulz zurück. »Bleiben Sie immer hinter mir.«
»Aber die hat jetzt ein Messer.«
»Ich weiß.«
»Sie müssen…«
Suko ging auf die lebende Leiche zu, und Frau Schulz schwieg. Sie fuhr mit beiden Händen durch ihr Gesicht, auf ihren Lippen glänzte der feuchte Speichel. Dass sie hier in ihrer Wohnung Schreckliches erlebte, stand fest, aber sie wollte nicht länger darüber nachdenken.
Erika hob ihren rechten Arm. Die Spitze des Messers war auf den Inspektor gerichtet, der sich daraus nichts machte.
Dann stieß sie zu.
Das hatte auch Grete Schulz gesehen, deshalb schrie sie auf. Sie rechnete damit, dass die Klinge in den Leib des Mannes fahren würde, aber Suko konnte über diesen Angriff nur lächeln. Er war nicht schnell genug ausgeführt worden.
Mit einer leichten Drehung wich er aus, die Klinge verfehlte ihn und Erika wurde von der Wucht des Schwungs nach vorn getragen. Wäre sie ein normaler Mensch gewesen, hätte sie den harten Klammergriff gespürt, mit dem Suko ihr Handgelenk gepackt hielt.
Beide Hände umklammerten es, und er bog den Arm ruckartig und heftig zur Seite.
Grete Schulz und er hörten das Geräusch, als der Arm oberhalb der Hand brach, aber aus dem Maul der lebenden Leiche drang kein einziger Laut. Erika verspürte keine Schmerzen mehr. Sie war gewissermaßen jenseits von Gut und Böse.
Suko konnte das Messer an sich bringen, schleuderte es weg und Erika zurück, die über die Schwelle bis in den Flur taumelte und noch weiter zurückging. Dann prallte sie gegen das Geländer.
Plötzlich warf sie ihren Körper zurück. Sie riss dabei die Arme in die Höhe. Suko wollte sie noch auffangen, schaffte es aber nicht mehr. Erika Meinhardt fiel in den Treppenschacht.
Suko schaute ihr nach.
Er war ziemlich breit, ein menschlicher Körper passte schon dazwischen, auch wenn er hin und wieder gegen das Geländer schlug, aus der ursprünglichen Fallrichtung gebracht, aber nie gestoppt wurde, sondern tiefer fiel.
Dann prallte er auf.
Eine Etage lag dazwischen. Frau Schulz tauchte neben Suko auf. Der drückte sie wieder in die Wohnung zurück.
»Da bleiben Sie jetzt!«
»Und Sie?«
»Ich werde ihr folgen!«
Bevor Frau Schulz noch eine Antwort geben konnte, hatte sich Suko schon auf den Weg gemacht und ließ die Treppenstufen mit gewaltigen Sprüngen hinter sich…
***
Der weibliche Zombie war auf den Kopf gefallen und ebenfalls auf die Schulter. Es machte ihm ebenso wenig aus wie der Stich mit dem langen Küchenmesser. Solange es keine speziellen Waffen waren, war dieses Wesen nicht endgültig umzubringen.
Nach dem Aufprall kroch Erika ein Stück zur Seite und stand anschließend mit unsicheren Bewegungen auf, stolperte nach vorn, prallte gegen eine Wohnungstür und von dort aus zurück.
Das sah auch Suko, der die Stufen sehr schnell hinabgeeilt war und auf der Drittletzten wartete.
Sie schauten sich an. Suko zumindest ahnte, dass auch die Untote über ihn Bescheid wusste. Vielleicht spürte sie, dass er gewisse Waffen bei sich trug, und sie riskierte es deshalb nicht, ihn anzugreifen.
Dem Inspektor wiederum war es sehr recht. Denn dieses Wesen sollte ihn auf die Spur eines van Akkeren bringen.
Er ging davon aus, dass beide in einem Zusammenhang standen. Van Akkeren, der Schatten und dieser weibliche Zombie.
Grete Schulz hielt sich glücklicherweise zurück. So brachte sie sich nicht selbst in Gefahr.
Und es erschienen auch keine neugierigen Hausbewohner. Das war sehr wichtig. Vielleicht wohnte hier niemand mehr, möglicherweise traute sich auch niemand aus seiner Wohnung.
Der Zombie blieb dicht an der Wand, als er sich mit schleichenden Schritten auf den Ausgang zu bewegte. Das Leichenhemd zeigte breite Schmutzstreifen, der Mund stand offen. Hin und wieder drangen blubbernde Geräusche über die Lippen.
Erika Meinhardt war sicherlich einmal eine sehr schöne junge Frau gewesen, die keine Mühe gehabt hatte, Männer um den Finger zu wickeln. Nun war davon nichts mehr zu sehen. Was sich da im Hausflur bewegte, war nur noch ein Schatten davon, ein gespenstisches Zerrbild, das durch das Halbdunkel taumelte.
Draußen war die Nacht noch nicht hereingebrochen. Aber die Sonne des Tages hatte sich zurückgezogen, zudem mischten sich Wolkendecken in den Dunst. Das Licht nahm einen bleigrauen Farbton an, nicht nur im Industriegebiet, auch hier
Weitere Kostenlose Bücher