0644 - Der Leichenfürst von Leipzig
über der Altstadt.
Suko ließ das Wesen in Ruhe. Er bewegte sich erst, als es mit einer tapsig wirkenden Bewegung seine Hand auf die Klinke legte und sie nach unten drückte.
Eine Stufe ging der Inspektor weiter. Er hoffte stark, dass sich niemand auf der Gasse blicken ließ, der dieser lebenden Leiche in die Arme lief. Ein Zombie tötete grundlos, er wollte nur vernichten, etwas anderes hatte sich in seinem Hirn nicht festgesetzt.
Der graue Lichtstreifen fiel von außen in den Flur und zeichnete auf dem Boden ein zerfließendes Muster. Wie von Händen vorgeschoben, quälte sich der Untote über die Schwelle, blieb stehen und bewegte den Kopf in verschiedenen Richtungen, weil er nachschauen wollte, ob die Luft rein war.
Suko hörte keine Schritte, auf der Gasse war es ruhig, was ihm Hoffnung gab.
Mit einem geschmeidigen Sprung hatte er auch die letzte Stufe hinter sich gelassen und kaum den Boden des Flurs berührt, als er über sich das scharfe Zischen vernahm, eingepackt in eine Frage.
»Ist sie jetzt draußen?«
»Ja, Frau Schulz. Bleiben Sie um Himmels willen oben. Machen Sie keinen Unsinn.«
»Ja, ja, mache ich…«
Erika Meinhardt hatte sich durch den Türspalt geschoben. Suko sah, dass sie nach links wegging, nicht einmal unsicher. Bestimmt hatte sie ein Ziel.
Er musste an die alten Gewölbe denken, von denen ihm Frau Schulz berichtet hatte. Die eignen sich für Wesen wie Erika als hervorragendes Versteck, aber auch van Akkeren konnte sich dort verbergen, um nicht entdeckt zu werden.
Als Suko die Tür erreichte, hörte er die schleifenden Schritte der Untoten nahe der Hauswand. Sie wühlte den Staub hoch, stolperte durch Löcher oder über Steine, aber es gab nichts, das ihren Gang hätte stoppen können.
Suko blieb noch in Deckung der Tür. Seinen Kopf hatte er nach links gedreht und schaute auf den schwankenden Rücken der Untoten. Erika machte ihm nicht den Eindruck, als wüsste sie nicht, wohin sie laufen wollte. Sie stolperte weiter zielstrebig ihren Weg.
Leider war die Gasse nicht leer.
Zwar hielten sich die Menschen nicht in der unmittelbaren Nähe auf, sie bewegten sich auf der anderen Seite, aber sie hatten das Wesen schon entdeckt.
Zwei Frauen blieben stehen. Eine hielt noch ihren alten Putzeimer in der Hand. Aus großen Augen verfolgten sie und die Nachbarin den Weg der Untoten.
Erika ging weiter.
Natürlich wurde sie erkannt, und natürlich wusste man in der Straße über sie Bescheid.
Nur sprach man sie nicht an.
Die beiden Frauen und auch der junge Mann, der ihr entgegenkam, sagten nichts. Der Mann schlug einen Bogen, dann rannte er weg, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Keuchend und mit einem irren Blick in den Augen huschte er an Suko vorbei.
Als seine Schritte verhallt waren, war auch die Untote verschwunden. Suko hatte für einen Moment nicht aufgepasst. Der Körper schien von einer alten Fassade verschluckt worden zu sein, was natürlich nicht stimmte, denn sehr bald schon entdeckte Suko die Lücke zwischen zwei Häusern, so etwas wie eine schmale Einfahrt, in der er nicht einmal die Arme ausstrecken konnte.
Er schaute hinein. Erika hatte sie bereits hinter sich gelassen. Ihre Füße hatten dabei eine Spur durch den Abfall gezogen, der die Einfahrt wie ein Teppich bedeckte.
Aus dem Hof dahinter hörte er ein Scheppern und einen leisen, erstickt klingenden Ruf.
Das Blut schoss in seinen Kopf, als er losrannte. Suko befürchtete Schlimmes. Ohne Rücksicht auf Verluste rannte er durch den Unrat, bevor ihm am Ende des schmalen Durchlasses eine Gestalt über den Weg taumelte, deren Gesicht von Angst gezeichnet war. Ein junger Mann torkelte ihm in den Weg. Er trug einen blauen Arbeitsanzug. Seine Hände waren beschmiert mit Öl und Fett.
Er wollte reden, konnte es aber nicht und stotterte sich was zurecht.
»Weg mit dir!«, flüsterte Suko. »Hau ab…!«
Er nickte nur.
Suko erreichte einen Hinterhof, blieb stehen, schüttelte den Kopf und konnte es nicht fassen.
Hier sah es aus wie nach einem Bombenangriff oder wie nach dem Krieg. Die Außenfassaden der Häuser hatten noch gestanden, auch wenn sie ziemlich mitgenommen aussahen, aber hier im Hof herrschte das reine Chaos. Da waren die Rückfronten eingebrochen. Von manchen Mauern standen nur noch Fragmente, sie sahen aus wie steinerne Skelette. Da ragten rostige Stahlträger wie starre Arme in die Gegend. Durch einige Trümmerhaufen hatten sich die Bewohner einen Weg gebahnt, um bequem an ihre
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