0645 - Die Catron-Ader
die Seite.
„Schneller!" schrie Wilamesch wütend. „Nicht erst nachdenken!"
„Niemand", würgte Mikul hervor.
„Ihr beiden seid die einzigen?
„Ja."
„Dein Glück", knirschte Wilamesch.
„Was machen wir mit dem Kerl?" fragte der Mann, der die Lampe hielt. „Erledigen wir ihn gleich hier an Ort und Stelle?"
„Wir brauchen uns die Finger nicht schmutzig zu machen", wehrte der Stämmige. ab. „Wir lassen ihn einfach liegen. Mit der Zeit geht er schon von selber drauf. Allerdings nicht hier. Wir sind noch zu nahe an seinem Stadtviertel."
„Soll ich ihn vielleicht tragen?" murrte der Mann mit der Lampe.
„Bind ihm die Beine los, dann kann er gehen", befahl Wilamesch.
Mikul bekam die Beine losgebunden. Dann zerrte ihn Wilameschs Begleiter auf.
„Los!" fuhr er ihn an. „Setz dich in Bewegung!"
Mikul war übel. Der Schädel schwirrte ihm, und im Schein der Lampe schienen die Wände des Ganges, in dem sie sich befanden, einen wirren Tanz aufzuführen. Wilamesch schritt voran. Hinter ihm kam Mikul, und den Abschluß machte der Mann mit der Lampe. Mikul versuchte, sich zusammenzureimen, was geschehen war. Ohne Zweifel hatten die Gangster Tembalan geschnappt, als er die Treppe hinabstieg. Mikul glaubte nicht, daß der Alte ihn verraten hatte. Wahrscheinlich war Wilamesch von selbst auf die Idee gekommen, daß Tembalan nicht allein sei.
Er war die Treppe hinaufgestiegen und hatte sein Glück probiert.
Im Flüsterton war Tembalans Stimme leicht nachzuahmen. Mikul erinnerte sich, daß die Stimme aus dem Dunkeln ihn mit „Heh!" und nicht mit seinem Namen angesprochen hatte.
Wilamesch und sein Begleiter waren jetzt auf dem Weg nach oben. Die anderen Mitglieder der „Aktion" waren ihnen wahrscheinlich schon ein Stück voraus, mitsamt der Beute, die sie in dem angeblich eingeschlossenen Stadtteil gemacht hatten.
Wilamesch hatte warten müssen, bis sein Gefangener zu sich kam. Mikul glaubte ihm nicht, wenn er sagte, er brauche sich mit ihm die Finger nicht schmutzig zu machen. Wie leicht konnte er sich, wenn man ihn irgendwo liegen ließ, befreien! Wilamesch hatte vor, ihn zu töten; daran bestand kein Zweifel. Allerdings würde er es an einem abgelegenen Ort tun.
Mikul sah sich vorsichtig um, so daß der Mann, der hinter ihm schritt, nichts davon bemerkte. Sein Beruf brachte es mit sich, daß er jeden Winkel, jeden Gang, jede Rampe dieses Stadtteils kannte. Mikul arbeitete seit Jahren auf dem Gebiet der „Raumbeschaffung". Das war ein Beruf, den die katastrophale Enge der yaanztronischen Wohnstädte sozusagen als Bastard in die Welt gesetzt hatte. Die riesigen unterirdischen Städte waren nicht das Ergebnis sorgfältiger Planung, wie manche Leute dachten. Die Bevölkerungsexplosion hatte die Städtebauer, obwohl man sie hätte vorausberechnen können, mehr oder weniger wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Plötzlich war kein Wohnraum mehr vorhanden. lm Nu war die Oberfläche des Planeten für die Milliarden und Abermilliarden von Bewohnern zu klein geworden. Man stürzte sich auf den unterirdischen Städtebau. Innerhalb weniger Tage entwarfen die Computer alle nötigen Pläne. Mit unglaublichem Elan begann man, Schächte in die Tiefe zu treiben, Stollen zu ziehen, Höhlungen zu schaffen und die Kruste von Yaanzar überall dort, wo es möglich war, in eine einzige, riesige Wohnwabe zu verwandeln.
Bei dieser Hast konnten Ungenauigkeiten nicht ausbleiben. Hier wich ein Schacht, wenn auch nur um eine halbe Bogenminute, von der Senkrechten ab. Dort betrug der Winkel, unter dem sich zwei Stollen kreuzten, nicht 90, sondern nur 89,9 Grad. Und dergleichen mehr: Aus solchen Ungenauigkeiten ergab sich toter Raum, der nicht genutzt wurde, weil ihn die Baupläne nicht vorgesehen hatten. Die Arbeit der „Raumbeschaffer" nun bestand darin, solche toten Räume ausfindig und nutzbar zu machen. Das Geschäft der Raumbeschaffung war angesichts der menschenunwürdigen Enge, in der die Städter-lebten, ein blühendes. Der Raumbeschaffer verlangte für das beschaffte Wohnvolumen keinen Preis, sondern lediglich eine Provision. Er betätigte sich also als Makler, und das war ein ehrbarer Beruf.
Die kleine Zelle zum Beispiel, in der Tembalan lebte, war ein Erzeugnis derartiger Raumbeschaffung. Nur hatte Mikul in Tembalans Fall auch keine Provision verlangt.
Er kannte sich also hier aus, und er wußte, daß sie sich im Augenblick noch immer in der Zone der Nutzräume befanden. Er erinnerte sich, daß dieser Gang
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