0647 - Hexenzauber
den Grasboden noch einmal sehr genau, ohne allerdings einen weiteren Aschehaufen zu finden.
»Nichts mehr, John.«
»Dann sollten wir verschwinden.«
Suko war auch dafür. Zwischen den Steinen war es an bestimmten Stellen schattig und beinahe kühl gewesen, was sich nun änderte, als wir hinaus in die Sonnenglut traten.
»Und da fahren die Deutschen in die Türkei, um Sonne zu haben.« Suko schüttelte den Kopf. »Das gibt es doch auch hier.«
»Aber keinen Strand. Und bis zur Nordsee ist es weit.«
»Ist mir egal.«
Vor uns flimmerte die Luft. Die Gegend war etwas hügelig geworden. Die langen, runden Kuppen mit den breiten Einschnitten dazwischen lockerten die Landschaft etwas auf. Hinzu kam das grüne Junigras, der blaue Himmel, das Summen der Insekten und das Zwitschern der Vögel. Einen Ort sahen wir nicht. Der nächste lag einfach zu weit entfernt, aber unseren Gasthof, den Heidekrug, sahen wir schon. Er war flankiert von hohen Bäumen und spendete mit seinem vorragenden Dach einen wunderbaren Schatten.
Dann passierte es.
Suko merkte es zuerst. Er ging zwei Schritte vor mir, blieb stehen und fuhr herum. Seine Hand glitt hoch zum Hals. Ich kam nicht dazu, ihn zu fragen, denn auch an meiner Haut huschte der kalte Hauch wie ein Gruß aus der Arktis vorbei.
Er war nicht einmal unangenehm, wenn seine Herkunft nicht so furchtbar gewesen wäre.
»Weg!«, sagte Suko.
Er hatte Recht. Auch ich spürte den Eishauch nicht mehr, schaute zurück zu den Steinen und entdeckte die Bewegung in der Luft.
Das war keine Vorspiegelung falscher Tatsachen, keine Fata Morgana, das war echt!
Eine Gestalt stand im Schatten eines Steins. War sie durchscheinend oder normal?
Im ersten Augenblick dachte ich an den Schatten, der zu Hoffmann gehört hatte. Doch dieser hier war anders. Längst nicht so dunkel, auch wenn er finster wirkte, weil er unmittelbar vor einem Stein stand.
Etwas aber erkannten wir sehr deutlich. Dieser Schatten hatte die Umrisse eines Menschen, er wies die Formen einer Frau auf.
»Bleib du hier!«, rief ich Suko zu und rannte schon los, ohne die Antwort meines Freundes abzuwarten.
Ich hatte das Kreuz wieder hervorgeholt. Es würde den Schatten zerreißen. Der Schatten musste wohl die Macht der weißen Magie gespürt haben, denn er verschwand blitzartig, noch bevor ich den Menhir hätte berühren können.
Ich stoppte dicht vor diesem gewaltigen Koloss meinen Schritt und sah erst jetzt, dass der Schatten etwas hinterlassen hatte.
Eine kalte Schicht. Sie glänzte matt, in einer Mischung aus Weiß und Grau.
Ich fühlte nach.
Es war Eis!
Einfaches, schlichtes Eis. Jedenfalls ein Stoff, der sich ebenso anfühlte.
Suko wunderte sich auch, bevor er seine Dämonenpeitsche hervorholte, einen Kreis schlug, damit die drei Riemen herausrutschen konnten. »Jetzt bin ich mal gespannt.«
Als er zuschlug, war ich schon zurückgetreten. Die drei Riemen blieben dicht beisammen und klatschten gemeinsam gegen die veränderte Stelle auf dem Menhir.
Wir hörten beide das Zischen, als wäre Wasser in ein Feuer gekippt worden.
Rauch quoll nicht auf, auch kein Dampf, aber das Eis schmolz vor unseren Augen dahin und rann in langen Bahnen am Stein entlang, wobei es noch helle Streifen hinterließ.
Ich holte durch die Nase Luft. »War es Eis oder nur eiskaltes Ektoplasma?«
»Ich tippe auf Letzteres.«
»Ja, Suko. Und damit hätten wir den Beweis für einen Besuch aus der Geisterwelt.«
»Ärgert dich das?«
»Nur wenn es Tote gibt…«
***
Der Heidekrug war die Oase inmitten der wunderschönen Landschaft. Auch wir hatten dort unser Quartier aufgeschlagen, und als wir eintrafen, da sahen wir diejenigen, die hergekommen waren, um etwas über die Kraft der Menhire zu erfahren.
Sie saßen auf den Bänken unter den Lindenbäumen. Der Wirt hatte noch zwei lange Tische hingestellt, und so konnte man den Schatten und auch die Wärme bei kühlen Getränken genießen.
In den Bechern und Karaffen schimmerte der Fruchtsaft oder perlte das Mineralwasser.
Ich verspürte den Wunsch, mich zu ihnen zu setzen, wollte mich aber zuvor frisch machen.
Natürlich wurden wir angeschaut. Man grüßte freundlich, wir lächelten zurück und holten unsere Zimmerschlüssel ab, die uns die Besitzerin, Frau Ilka Petersen, gab.
Sie war eine Frau mit hellblonden Haaren, figürlich gut dabei, und trug ein schlichtes Sommerkleid, das ihr sehr gut stand. Das Haar hatte sie auf dem Kopf zu einem Dutt zusammengedreht, den Rest zur Mitte
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