0649 - Der Junge von Stonehenge
Ich wünsche mir nur, dass dieser Junge noch einmal erscheint.«
»Dann drücke ich Ihnen die Daumen.«
Wenn Sir James so redete, waren wir praktisch an das Ende unseres Gesprächs gelangt. Ich stand mit langsamen Bewegungen auf.
»Viel Mumm haben Sie auch nicht gerade.«
»Bei diesem Wetter, Sir?«
»Darf uns das stören?«
»Aber sicher. Wir sind Menschen und keine Maschinen. Auch wir haben das Recht, mal kaputt sein zu dürfen. Mir hat es eigentlich schon für den Tag gereicht.«
»Brauchen Sie Urlaub?«
Die Frage war spöttisch gemeint, und ähnlich antwortete ich, allerdings nur mit einer Handbewegung, bevor ich zur Tür ging und das Büro des Superintendenten verließ.
Mit der Einladung zum Mittagessen war es nichts geworden. Glenda war allein gegangen. Im Vorzimmer hing noch der Duft ihres frischen Parfüms.
Bis Suko in London eintraf, würde es noch dauern. Also war ich auf mich allein gestellt, hockte mich hinter den Schreibtisch und sah auch die Akten vor mir liegen. Anfangen oder nicht? Ich schob sie zur Seite und legte die Beine hoch, das Telefon in Griffweite.
Jeder, der mich etwas näher kennt, weiß, dass ich viel auf mein inneres Feeling gebe.
Ich hatte an diesem Tag einfach das Gefühl, an meinem Schreibtisch hocken und warten zu müssen, bis sich etwas tat. Wenn Tim etwas von mir wollte, würde er auch wissen, wo er mich finden konnte. Und so wartete ich ab. Eine Viertelstunde verstrich. Ruhe umgab mich. Hin und wieder schaute ich zum Fenster; aber dort ließ er sich ebenso wenig blicken wie an der Tür.
Dann meldete sich das Telefon. Ich riss den Hörer an mich, meldete mich nicht mit Namen und hörte die mir seit dem Morgen bekannte, jugendliche Stimme des Jungen Tim.
»Hallo, John Sinclair.«
»Tim, verflixt…«
»Nicht aufregen, John. Bitte komm allein. Ich erwarte dich.«
»Und wo?«
»In Hamstead, bei einem gewissen Dr. Frank Conrad. Las dir nicht zu lange Zeit, bitte…«
Ende der Durchsage. Ich warf den Hörer wütend zurück und hetzte ins Vorzimmer, wo auch die Adressbücher aufbewahrt wurden. Dieser Frank Conrad musste zu finden sein.
Was Tim bei ihm und was er von mir wollte, war mir unklar. Jedenfalls hatte ich den Namen Dr. Conrad noch nie in meinem Leben gehört.
***
Helen wunderte sich über ihre Ruhe, obwohl sie diese selbst als unnatürlich bezeichnete, denn sie saß wie festgebacken auf dem Gartenstuhl und hatte die Hände um die Lehnen verkrampft, dass es schon schmerzte.
Ihren Mann hatte sie vergessen, sie interessierte sich allein für den Jungen, der um die Hausecke gegangen war und nun den Garten durchquerte.
Er sah tatsächlich so aus wie jemand, der in einer fernen Vergangenheit lebte.
Eine schwarzweiße, karierte Hose, deren Beine in den Stiefelschächten verschwanden, eine halblange Jacke mit Gürtel, das lange, dunkle Haar, die ebenfalls dunklen Augen und die leicht gebräunte Gesichtsfarbe, in der die vollen Lippen auffielen, die ein natürliches Rot zeigten. Dieser Junge machte einen harmlosen Eindruck. Es war schwer vorstellbar, dass er gefährlich werden konnte.
Überhaupt nicht ängstlich schritt er durch den Garten, schaute sich interessiert um, blieb neben einem Rosenstrauch stehen und streckte den rechten Arm aus, um den Strauch an einer bestimmten Stelle zu umfassen. »Was hat er vor?« hauchte Helen. »Ich weiß es nicht.« Frank Conrad schwitzte. Er stand unter Dauerstress. In seinen Augen leuchtete wieder die Furcht, dass in den nächsten Minuten alles aus sein könnte.
Der Junge nickte ihnen zu, bevor er mit einem Ruck den Strauch aus dem Boden riss. Die Wurzeln sahen aus wie dünne, leicht gekrümmte Finger. Von ihnen rollten noch kleine Lehmklumpen ab und blieben liegen.
Beide Conrads hörten das Zischen. Und einen Augenblick später stand der Strauch in hellen Flammen.
Helen schrie auf. Sie sprang hoch. Ihr Mann hielt sie fest, es hatte keinen Sinn wegzulaufen. »Bleib, Helen!«
Der Junge aber stand da, hielt den brennenden Strauch fest und fasste dabei den Flammen entgegen, die seinen Arm umspielten, ohne ihn allerdings zu verbrennen.
Das war kaum zu fassen, und die Conrads bewegten sich beide nicht.
Sie konnten nur starren, waren wie vor den Kopf gestoßen und ließen den Jungen gewähren, der so lange wartete, bis der Strauch verkohlt war und die Reste zu Boden sanken.
Frank Conrad fing sich als erster. »Ist dir etwas aufgefallen, Helen? Rede.«
»Ja, viel, aber…«
»Ich meine etwas Bestimmtes.«
»Weiß
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