065 - Der Geisterreiter
beiden Mumi …“
Er kam nicht weiter. Sheng schwang seinen Streitkolben und bewegte den Arm im Halbkreis. Das dicke Ende der Waffe, mit schwerem Metall beschlagen, krachte von vorn gegen den Schädel des Mannes. Im hohen Bogen flog der durchsichtige Becher davon, der Inhalt sprühte über den Fürsten. Der Fremde knickte in den Knien ein, legte die Arme an die Seiten und fiel um wie ein gefällter Baum. Ein dumpfes Krachen war zu hören, als der Körper zwischen den Binden zu Boden fiel.
Der Bann war gebrochen – ihre Waffen gehorchten ihnen wie in vielen früheren Schlachten. Ein Blutrausch ohnegleichen kam über die beiden Hunnenkrieger, die erst ruhten, als alle ihre Feinde tot am Boden lagen.
Torras von Nyrmada atmete schwer. Wild sah er sich um.
Wo waren die Musikanten? Die Pferde? Die Weiber?
Seine Augen durchbohrten das Dunkel. Die vielen kleinen Lichter aus den Häusern und vom Feuer her erhellten annähernd eine runde Zone um das Lager, an deren Rand jetzt Sheng wieder auftauchte. Auch die flackernden Blitze machten die Umgebung deutlich.
„Ich habe keine Pferde gesehen, auch keine Spuren!“ rief Sheng vom anderen Ende des Lichtkreises her.
Torras hob die Hand.
„Und ich keine Musikanten!“ rief er.
Langsam ging er in Richtung des Feuers. Die heiße Glut der Holzkohlen hatten inzwischen die Fleischstücke hart und schwarz werden lassen. Brandgeruch stieg auf.
Auf einem hohen Tisch sah der Fürst einen schwarzen, von silbernem Metall umrahmten Kasten. Als er näher trat, hörte er aus dem Kasten ein Wispern und Brummen. Zögernd ging der Fürst auf den sprechenden Kasten zu. Er bemerkte Knöpfe und andere, seltsame Verzierungen.
Torras streckte die Hand aus und berührte einen der Knöpfe. Plötzlich hörte er die Musiker wieder, aber er konnte sie nicht sehen. Ungläubig starrte er auf den Kasten. Kein Zweifel, die Musik kam aus der merkwürdigen Maschine vor ihm.
Der Herrscher von Nyrmada wich zurück. Zorn entstellte sein Gesicht. Er riß sein Schwert aus der Lederscheide, holte aus und zerschmetterte mit einem einzigen wuchtigen Hieb den Kasten. Noch einmal jaulte die Musik auf, dann verstummte sie gänzlich.
Schaudernd und sich schüttelnd schob der Fürst die Waffe in die Scheide zurück.
„Teufelszeug!“ murmelte er. „Musik aus einem Kasten – Häuser auf Rädern und keine Pferde! Was tun wir jetzt?“
„Plündern“, schlug Sheng vor, der neben den Fürsten getreten war.
„Hier gibt es nichts zu plündern. Sie waren selbst arm. Aber wir brauchen unbedingt Pferde, Sheng!“
„Richtig, Herr!“ war die Antwort. „Wir werden suchen, bis wir Pferde finden.“
Aufmerksam sahen sich die beiden Männer um. Ihre Augen, die geübt darin waren, jede wichtige Einzelheit bei einer Jagd oder einem Kampf genau wahrzunehmen, registrierten unzählige neue Dinge.
Sie befanden sich hier in einer ihnen völlig fremden Welt. Noch niemals hatten sie derartige Dinge gesehen, geschweige denn von ihnen gehört. Und in dieser Umgebung sollten sie das Heer finden, in dem sie damals gekämpft hatten? Es würde schwierig sein, besonders deshalb, weil sie die Sprache der Menschen nicht verstanden.
„Still!“ sagte der Fürst plötzlich und faßte Sheng am Arm. „Hörst du?“ Er deutete auf einen fernen Punkt im Westen. Dort geisterten dicke Lichtstrahlen hinter den Bäumen umher. Ein Rasseln und Rattern, wie von tausend wütenden Hornissen, kam näher. Es vermischte sich mit dem Heulen des Windes und dem grollenden Donner zu einem furchtbaren Klang.
Die beiden Krieger lauschten dem Geräusch nach, das schnell näher zu kommen schien. Ohne sich weiter um die Toten zu kümmern, rafften sie eilig ihre Waffen zusammen und rannten über einen breiten Pfad mit tief ausgefahrenen Radspuren den schwankenden, auf und niederzuckenden Lichtern entgegen.
„Ein furchtbarer Kampfwagen“, murmelte Sheng abermals. Seine dunklen Augen verfolgten wie gebannt das Herannahen des Gefährtes, das ihm uneingestandene Furcht einflößte. Im Inneren des Wagens konnte er zwei Gestalten ausmachen. Ein junger Mann und ein Weib saßen darin.
„Sie haben alles gesehen, Fürst!“ rief Sheng.
Torras von Nyrmada wurde durch die Stimme des Kampfgenossen aus seinen Gedanken gerissen. „Weshalb erschreckt dich dieser Wagen so?“ fragte er.
Der Hunne zuckte die Schultern.
„Das liegt daran, daß du seine Funktionen nicht kennst, Sheng“, belehrte der Hunnenfürst seinen Waffenbruder. „Alle Dinge
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