065 - Der Geisterreiter
einen Kompromiß vorgeschlagen.“
„Und wie lautet der?“ fragte ich gespannt.
„Es handelt sich um zwei verkleidete Männer, die diesen Mumienfund dazu benutzen, Angst und Schrecken zu verbreiten, um auf diese Weise ungehindert stehlen und einbrechen zu können.“
Jürgen lachte kurz auf und schüttelte den Kopf.
„Das ist doch absurd, Kommissar Schlüter!“
„Sie haben ja recht“, war die Antwort. „Aber was soll ich glauben?“
Die Frage hing im Raum – wer wußte eine Antwort darauf?
Wir ahnten, was nun kommen würde. Der Fall würde erneut aufgerollt werden. Kriminalbeamte, Reporter, Fernsehen, sie alle würden sich immer wieder damit beschäftigen. Es würde Verdächtigungen und Spuren geben, aber zum Schluß würde man wohl so klug wie vorher sein.
Es war gut, daß Kommissar Schlüter zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte, welche Schreckenstat die beiden Hunnen inzwischen begangen hatten. Er kannte lediglich die Vorgänge innerhalb des Reviers. Doch draußen stand Sheng und wartete ungeduldig auf seinen Herrn.
Er hielt die Zügel beider Pferde. Quer über seinem Rücken leuchtete der neue, weiße Bogen, der allerdings nicht so gut war wie diejenigen, die von den Alten seines Volkes gemacht worden waren.
Mit unendlicher Geduld hatten sie die todbringenden Waffen hergestellt. Geheimnisvolle Beschwörungen wurden über sie ausgesprochen, um die Krieger, die später diese Bogen benutzen würden, vor Gefahren zu schützen und sie als Sieger aus den Kämpfen hervorgehen zu lassen.
Der Kriegshauptmann verspürte auf einmal eine wilde Sehnsucht danach, endlich zu dem großen Heer der Hunnen zu stoßen.
„Fürst Torras!“
Seine Stimme war dunkel vor Erregung. Er drehte den Kopf und blickte in die hell erleuchtete Revierstube hinein.
„Was gibt’s?“
Bedächtig knotete der Herrscher die vier Enden des Mantels zusammen und warf sich das schwere Bündel auf den Rücken.
„Die Hunde werden uns verraten. Aber ich sehe sie nicht alle, und ich kann sie mit meinen Pfeilen nicht erreichen!“
Breitbeinig schritt Torras aus dem Raum. Schon wieder hatten sie einen Sieg errungen. Eines Tages – und dieser Tag war nicht so fern – würde ihnen die Bevölkerung dieses Ortes Geschenke bringen und sie als Herren anerkennen. Und sie würde ihnen sagen, wo sich das große, ruhmreiche Hunnenheer befand.
„Was kümmern dich die Hunde?“ sagte Fürst Torras, als er neben seinem Hengst stand und das Bündel hinter dem Sattel befestigte. Die Pferde waren von ihnen binnen zweier Tage gezähmt und auf ihre Art zugeritten worden. Erst jetzt taugten die Gäule etwas. Sie scheuten zwar noch immer, aber sie gehorchten den Sporen, der Peitsche und Kandare.
Nichts! Aber sie locken Menschen an.
Torras hielt sich an der Mähne fest und schwang sich mit einem wilden Ruck in den Sattel. Seine weichen Lederstiefel fuhren in die Steigbügel. Die großen, geschliffenen Sporen bohrten sich in das Fell des schwarzen Pferdes. Ein scharfer, kurzer Ruck am Zügel, das Tier stieg hoch und drehte sich tänzelnd auf den Hinterbeinen. Aus seiner Kehle kam ein erschrecktes Wiehern.
„Weg! Zurück in unser Gemäuer!“ sagte Torras hart.
Sheng sprang vom Boden in den Sattel; an Geschicklichkeit auf dem Pferderücken war ihm niemand gleichgekommen.
Torras beugte sich weit über den Hals des Hengstes und setzte die Peitsche ein, die an seinem rechten Handgelenk baumelte. Er sprengte die schmale Straße entlang. Die tiefhängenden Äste der Bäume streiften ihn fast, und die Hufe seines Pferdes verursachten einen heftigen Wirbel. In den kleinen Häusern und Vorgärten begannen die Hunde wütend zu kläffen.
Schräg hinter Torras ritt Sheng. Seine Augen waren begehrlich auf die Feuerrohre gerichtet, die bei jedem Galoppsprung des Pferdes gegen den Rücken des Fürsten schlugen.
Ganz vorn, wo die Straße aufhörte und in Felder und Gärten überging, sah Torras eine Bewegung. Etwas Weißes verließ den dunkelgrünen Schutz der Hecken. Er ritt, ohne auf eine etwaige Gefahr zu achten, weiter. Sein Rücken wurde durch Sheng gedeckt. Die etwas nachtsichtigen Augen des Fürsten erfaßten jetzt genau die Gestalt, die zirka fünfzehn Meter von einer übermannshohen Hecke entfernt in der Mitte der Straße stand. Es war ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen in einem langen, halb durchsichtigen Kleid. Torras handelte instinktiv und sicher.
Er beugte sich rechts aus dem Sattel, ritt links an dem Kind vorbei und faßte es mitten im
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